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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Schränken hatte sich als völlig ausreichend erwiesen.
Irgendwann war Patricia auf die Idee gekommen, ein kleines Gästezimmer einzurichten, »falls wir einmal noch jemand anderen mitnehmen«, was aber nie passierte und was wohl auch niemand wirklich gewollt hätte.
    Und nun ist es eben ein Ausweichzimmer, dachte Jessica, für zerstrittene Ehepaare.
    Genaugenommen waren sie nicht einmal zerstritten. Eine Lüge stand zwischen ihnen, und die Ereignisse des gestrigen Abends hatten Jessica in eine Sprachlosigkeit getrieben, die sie nie zuvor an sich erlebt hatte.
    Alexander hatte seine Tochter verraten.
    Vermutlich hatte er Elena vor Jahren ebenso verraten.
    Er würde auch sie, Jessica, verraten.
    Er würde jede Person, ganz gleich, wie nah er ihr stand, über die Klinge springen lassen, wenn es um seine Freunde ging.
    Die Frage war, wie man leben konnte mit einem solchen Menschen.
    Sie war nach der Szene im Wohnzimmer am Abend zuvor ziellos im Park umhergelaufen, begleitet nur von Barney und auf nichts anderes erpicht als darauf, niemandem zu begegnen. Vor allem nicht Alexander. Ihm am wenigsten.
    Sie hatte einen Strauß Narzissen gepflückt, dies jedoch erst wirklich registriert, als sie plötzlich mit den Blumen in der Hand dastand und sich fragte, weshalb sie das getan hatte. Weshalb sie Blumen pflückte in einer Situation wie dieser. Wahrscheinlich hatte sie eine Art von Trost daraus geschöpft.
    Sie war hinaufgegangen in ihr Schlafzimmer, voller Angst, und doch entschlossen, mit Alexander zu sprechen, sollte er jetzt da sein. Um aber eine ungeheure Erleichterung zu empfinden, als sie feststellte, daß er nicht da war. Sie stellte die Blumen in eine Vase am Fenster, nahm ihr Nachthemd und ihre Zahnbürste und begab sich in das Gästezimmer, um dort die Nacht zu verbringen.
    Es dauerte lange, bis sie einschlief, und dann war es ein unruhiger
Schlaf, aus dem sie immer wieder verwirrt und ängstlich erwachte. Erst gegen Morgen fand sie für ein paar Stunden Ruhe, aber dennoch war sie müde und fühlte sich zerschlagen und angegriffen.
    Alexander hatte sie nicht aufgesucht. Am Abend nicht, in der Nacht nicht. Plötzlich fanden sie den Weg zueinander nicht mehr.
    Sie stand auf, tappte barfuß durch die Halle. In der Gästetoilette wusch sie sich notdürftig mit kaltem Wasser am Handwaschbecken, zog die Sachen an, die sie am Vortag schon getragen hatte. Sie waren zerknittert und verschwitzt und vermittelten ihr das Gefühl, ungepflegt und schmuddelig auszusehen. Im Spiegel sah sie, daß sie Ringe unter den Augen hatte. Immerhin war ihre Haut von den vielen Spaziergängen in der Sonne leicht gebräunt. Sonst hätte sie den Eindruck gehabt, eine Leiche starre ihr entgegen.
    Sie beschloß, mit Barney eine Runde im Park zu drehen. Hunger hatte sie sowieso keinen. Ihr war leicht übel.
    Der Tag würde sehr warm werden, das konnte sie bereits spüren.
    Und auch, daß es kein guter Tag werden würde.
     
    Leon saß in der Küche, vor sich eine große Kanne Kaffee und einen etwas trockenen Blaubeermuffin, den er im Kühlschrank gefunden hatte und der irgendwie Evelins Freßattacken entgangen sein mußte. Er zupfte daran herum und schob ihn sich krümelweise in den Mund. Dafür trank er eine Tasse Kaffee nach der anderen. Stark und schwarz, ohne Milch und Zucker. Er bekam Herzrasen, wenn er zuviel Kaffee trank, und sein Hausarzt hatte ihm vom übermäßigen Genuß abgeraten. Aber das war ihm jetzt egal. In seiner Situation war ihm ziemlich vieles egal.
    In aller Herrgottsfrühe hatte er seine Mitarbeiterin Nadja angerufen, die junge Anwältin, die naiv und vertrauensvoll genug gewesen war, sich mit ihm zu assoziieren und selbständig zu machen. Er hatte ein paarmal mit ihr geschlafen, daher standen sie
einander nah genug, um einen Anruf morgens um halb sieben in ihrer Wohnung zu riskieren.
    Sie hatte das Telefon im Bad abgenommen, das konnte er an dem Nachhall ihrer Stimme erkennen.
    »Wie geht’s?« fragte er.
    Sie stutzte, dann begriff sie offenbar, daß er mit seiner Frage nicht ihren persönlichen Zustand, sondern den des gemeinsamen Büros gemeint hatte.
    Sie seufzte. »Leon, da ist nichts mehr zu wollen. Wir haben einfach keine Mandanten, und wenn mal einer kommt, dann geht es um einen Streitwert, der nicht erwähnenswert ist. Ich sitze herum und drehe Däumchen. Ich muß jetzt einfach sehen, daß ich meine Schäfchen ins trockene bringe.«
    Davon redete sie seit Monaten, seit Ende letzten Jahres bereits. Vor einigen

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