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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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drückte sie herab. Die Tür schwang mit verhaltenem Knirschen in den Angeln zurück. Sofort ertönte ein greller Pfiff.
    Kajetan hastete durch die Halle. Vor einem der Fenster huschten die dunklen Umrisse seiner Verfolger vorüber. Kajetan überlegte fieberhaft. Neben der Ziegelpresse führte eine Eisenleiter auf die Beschickebene. Mit fliegenden Bewegungen hangelte sich Kajetan nach oben und legte sich flach auf den Boden.
    Die Verfolger stießen die Türen auf. Einer der Männer riss ein Streichholz an. Dann flammte das elektrische Licht auf. Kajetan atmete flach. »Da unten ist nichts«, hörte er.
    »Aber er ist da rein!«
    »Dann kann er bloß noch oben sein.«
    Kajetan versuchte seinen hämmernden Puls unter Kontrolle zu bringen.
    Das nennt dieser Maulheld also Ablenkung, dachte er.
    Fiebernd sah er um sich. Vor der Beschicköffnung stand eine Lore. Ihre Gleise führten zu einem niedrigen, von einem Lattengitter verschlossenen Durchlass.
    Die Leiter unter ihm ächzte. Ein Zittern durchlief die eiserne Plattform.
    Kajetan stieß sich vom Boden ab, machte einen Satz nach vorne, entriegelte mit zitternden Fingern die Lore, schob sie bis zum Beginn der Schräge und sprang hinein. Gebrüll brandete an seine Ohren, als der eiserne Kasten auf die Lattentür zuschoss, sie mit ohrenbetäubendem Krachen durchbrach, die steile Rampe hinabsauste, die weite Abbausenke entlangratterte und kurze Zeit später vor einem Eimerbagger zu stehen kam. Kajetan sprang heraus. Seine Verfolger waren aus dem Presshaus gestürzt und liefen entlang des Gleises auf ihn zu. Kajetan sah sich fieberhaft um. Der Abbauhang lag frei vor ihm. Die Oberkante war abgeholzt. Er würde ein gutes Ziel abgeben, wenn er versuchen würde, ihn hinaufzuklettern. Und die Dorfhäuser waren auf der entgegengesetzten Seite.
    Er wirbelte herum, rannte seitwärts zu einem der Trockenlager und schlich in dessen Schutz wieder auf die Ziegelei zu. Erleichtert stellte er fest, dass sein Plan aufzugehen schien. Die Männer suchten noch die Umgebung des Baggers ab. Er blieb stehen und linste zwischen die leeren Regale auf den Hauptplatz. Ein weiterer Wagen war angekommen und stand, noch tuckernd und mit aufgeblendeten Scheinwerfern, vor dem Verwaltergebäude. Mehrere Männer standen zusammen und palaverten erregt durcheinander. Kajetan atmete schneller. Der Platz lag doch in Kulls Schussfeld? Dieser Maulheld!
    Kajetan überlegte. Er musste die gegenüberliegende Seite erreichen. Vor dem Ofengebäude würden man ihn sofort entdecken, dahinter liefe er den Männern, die vom Abbauhang wieder zurückkehrten, direkt in die Hände.
    Ich muss durch den Ofen, dachte Kajetan. Eine andere Chance habe ich nicht.
    Er kroch auf allen vieren unter der Rampe des Maschinenhauses hindurch, robbte zur Mauerkante des Durchlasses zwischen Presshaus und Ofengebäude. Von der Dunkelheit in der schmalen Passage gedeckt, riskierte er einen Blick auf den Platz vor dem Hauptgebäude. War Verstärkung eingetroffen? Im blendenden Scheinwerferlicht liefen mehrere Männer aufgeregt umher. Zwei von ihnen mühten sich, einen schweren Kasten in den Wagen zu hieven.
    Kull? Wo steckst du?
    Laute Flüche ertönten. Der Suchtrupp, der ihn zur Lehmgrube verfolgt hatte, kehrte zurück. Kajetan hastete in die Mitte des Durchlasses, schlüpfte durch das Tor des Ofenhauses und ließ das Schloss behutsam hinter sich zuschnappen. Er hielt einige Atemzüge inne, bis sich aus dem Dunkel die Umrisse einer Treppe schälten. Vorsichtig tastete er sich zur Schürebene empor. Sofort spürte er die Wärme unter seinen Sohlen.
    Für den Bruchteil einer Sekunde stiegen wieder Kindheitserinnerungen in ihm auf. Auf den Schürebenen hatte er trotz Verbots im Winter mit den Kindern der stagionali gespielt und mit ihnen fasziniert beobachtet, wie die Heizer das Tor zu den rotglühenden Höllen unter ihnen öffneten und wieder verschlossen.
    Es war stockdunkel. Er tastete sich am Kaminbau vorbei und setzte vorsichtig Schritt vor Schritt. Aus dem Boden strahlte Hitze. Immer wieder stieß seine Schuhspitze an eine der Schüröffnungen, deren Abdeckungen knöchelhoch aus dem Boden ragten. Gedämpft hörte er die Stimmen auf dem Vorplatz. Die Lautstärke nahm zu. Eine Stimme bellte einen scharfen Befehl.
    Kajetan tastete sich langsam vorwärts. Die Hälfte der Schürebene musste er schon durchquert haben. Plötzlich flog ein Tor im Erdgeschoss auf. Stimmengewirr füllte die untere Halle.
    »Alles nach oben!«, brüllte jemand.

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