Am Ende des Tages
an. Und dann sagens mir, ob ich lebendig bin oder nicht.«
Der Beamte kramte ein Tuch unter seinem Ärmel hervor und tupfte sich den Schweiß von Stirn und Glatze.
»Es muss irgendjemand in der Verwaltung ein Fehler unterlaufen sein«, setzte Kajetan begütigend nach. »Der Ihre ist es bestimmt nicht.« Die Blick des Beamten irrlichterte über Kajetans Gesicht. Hinter seiner Stirn arbeitete es.
Kajetan nickte bekräftigend. »Das Meldeamt kann da bestimmt nichts dafür.«
Der Beamte trat von einem Fuß auf den anderen.
»Ja … schon …«, räumte er ein, »freilich seh ich, dass Sie nicht tot sind … Sie wissen doch, wie ichs mein …«
Kajetan schenkte ihm ein verständnisvolles Lächeln. »Kommt ja wahrscheinlich auch nicht alle Tag vor, hm?«
»Ja, so was … so was ist mir mein Lebtag noch nicht untergekommen.« Der Meldebeamte strich sich mit der Hand über den kahlen Hinterkopf. »Was tu ich jetzt?«, lamentierte er. »Muss ich da jetzt den ganzen Behördengang zurückverfolgen oder was?«
Er hielt inne. In seinem Blick glomm Misstrauen auf… »Ich muss mit einem Oberen telefonieren.« Er wies befehlend auf eine Sitzbank an der Wand. »Sie warten derweil, ja?«
Kajetans Puls ging schneller. »Jetzt machens doch keine Umständ«, sagte er jovial. »Sie korrigieren einfach, was der schlampige Kollege …«
Der Meldebeamte ließ ihn nicht ausreden. »Sie rühren sich ja nicht von der Stell!« Er stieß den Zeigefinger drohend in Kajetans Richtung. »Haben Sie mich verstanden?« Er verschwand im Nebenraum und zog die Türe hinter sich zu. Wenig später drang eine gedämpfte Stimme durch das Türblatt. Die Worte des Meldebeamten waren nicht zu verstehen, wohl aber, dass er aufgeregt war.
Kajetan spürte, wie ihm heiß wurde. Ab jetzt musste er auf der Hut sein.
Der Beamte kam zurück. Minuten später schwang die Tür hinter Kajetan auf.
»Ah!«, rief der Beamte triumphierend. »Die Kriminalabteilung nimmt sich der Sach gleich selber an.«
Der Kommissar war ein junger, breitschultriger Mann. Er musterte Kajetan von oben bis unten.
»Der ist es?«, fragte er über die Schulter.
Der Meldebeamte nickte eifrig. »Hab mir ja gleich gedacht, dass da eine Lumperei dahintersteckt.«
»Unverschämtheit!«, sagte Kajetan hitzig.
Der Miene des Kriminalbeamten blieb ausdruckslos. »Kommens mit«, sagte er.
Kajetan schnappte entrüstet nach Luft. »Lassen Sie sich doch erst einmal erklären …«
Der Kommissar packte seinen Oberarm.
»Red ich böhmisch?« Der Griff war hart.
»Wohin überhaupt?«
»Gleich nach ganz oben«, krähte der Meldebeamte. »Und wies ausschaut, danach gleich nach ganz unten.«
3.
Dr. Leopold Herzberg hatte Mühe, seine Erschütterung zu verbergen. Obwohl erst einige Wochen vergangen waren, seit er seinen Mandanten zum letzten Mal besucht hatte, schien ihm Ignaz Rotter während dieser Zeit um Jahre gealtert. Das Gesicht des einst stämmigen Mittdreißigers war grau, seine Schultern hingen schlaff herunter, seine dunkel umrandeten Augen waren tief in die Höhlen gesunken. Der Anwalt stellte seine Aktenmappe ab und streckte ihm die Hand entgegen.
»Wie geht es Ihnen, Herr Rotter?« Herzberg hörte, wie seine Stimme im kahlen Besprechungsraum des Straubinger Zuchthauses nachhallte. Was für eine jämmerliche Frage, dachte er. Ein Blinder würde erkennen, dass der Mann nicht mehr lange durchhält.
Der Zellenwärter wandte sich teilnahmslos ab und ließ sich auf einem Schemel neben der Tür nieder.
Ignaz Rotter ergriff die Hand des Anwalts, drückte sie kraftlos und murmelte eine Begrüßung. Herzberg erwiderte sie beklommen.
»Und …?«, flüsterte der Gefangene.
Der Anwalt wies auf Tisch und Stühle in der Mitte des Raums. Er hüstelte sich die belegte Stimme frei. »Nehmen wir doch erst einmal Platz, Herr Rotter«, sagte er. Er wiederholte seine Geste.
Der Gefangene, den Blick an die Brust seines Gegenübers geheftet, bewegte sich nicht. Der Anwalt ließ seine Schultern fallen und gab ein beredtes Seufzen von sich.
Rotters Kinn sank auf seine Brust.
Der Anwalt bestätigte mit einem bekümmerten Nicken. »Die Strafkammer des Landgerichts hat den Antrag auf Wiederaufnahme verworfen«, sagte er und fügte hinzu: »Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich anderes erwartet habe.«
»Und … warum diesmal, Herr Doktor?«
»Die übliche Floskel. Der Antrag sei unbegründet. Man habe unsere Einwände schon einmal überprüft, überzeugende neue Fakten seien nicht
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