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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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    Aber er blieb länger, als notwendig gewesen wäre. Es fiel ihm nicht leicht, die Herrlichkeit seines Höhenfluges wieder preiszugeben. Die Musik, die sein neues Selbst war, dröhnte majestätisch über die Welt, sie brach über das Meer herein und über das Land, über die Berge und durch die Täler in schrecklicher, in gewaltiger Größe. Er blickte zum Mond und streckte ihm eine tastende Klangranke entgegen, so leicht und unbeschwert, wie er in seinem früheren Leben die Hand nach einer Frucht an einem tiefhängenden Ast ausgestreckt hätte. Er wußte: es würde ein Leichtes sein, den Mond mit Klang zu umspinnen, ihn auf seiner Bahn zu verschieben, oder ihn näher an die Erde heranzuholen, oder ihn gar ganz zu zerquetschen. Aber er konnte auch den Mond völlig ignorieren und sich selbst in die Leere und Tiefe hinausschleudern und mitten unter den Sternen schwimmen. Nie hätte er sich eine derartige Macht vorstellen können. Der Zauberstein konnte einen zum Gott machen.
    Und dann begriff er, warum der alte Thaggoran den Wunderstein so gefürchtet hatte, warum er gesagt hatte, er sei gefährlich. Es war nicht so, daß der Stein dem, der ihn benutzte, etwas Böses antun würde; aber seine Kraft war so gewaltig, daß durch sie dem Benutzer jegliches Urteilsvermögen abhanden kam und er – geblendet vom Glanz seiner erborgten Gottähnlichkeit – sich selbst sehr leicht Schaden zufügen konnte. Die Gefahr lag in der Maßlosigkeit.
    Mit ihm bislang in seinem ganzen Leben unbekannt gebliebener Anstrengung hangelte Hresh sich wieder zurück. Er stieg wieder in seinen Leib hinab; er gab seine Gottheit auf und streifte sie ab. Er schrumpfte wieder in sein Selbst zurück, und lag dann da auf dem Steinboden der Kammer, schlaff und schwitzend, bebend und betäubt.
    Nach einigem raffte er sich auf, verstaute den Stein in seinen Beutel und verbarg ihn an seinem Ort, und dann verschloß und versiegelte er die Lade mit achtsamerer Sorgfalt als gewöhnlich. Draußen fiel noch immer schwer der Regen, ja vielleicht strömte er sogar dichter als vordem, obwohl Hresh den Eindruck hatte, als sei er nun weniger wild und heftig, gewiß, ein hartnäckiges unablässiges Niederströmen von hämmernden Wasserfluten, aber doch eben nicht mehr ganz so wütend wie vordem. Noch immer war der Himmel dunkel, doch er glaubte, daß er hier und dort eine Aufhellung in der Finsternis ausmachen könne.
    Hresh achtete des Regens nicht, sondern trabte hinüber zu Koshmars Haus. Torlyri war inzwischen ebenfalls dort, und die beiden Frauen kuschelten sich aneinander wie furchtsame Tiere. Nie zuvor hatte Hresh eine der beiden in solch einem Zustand gesehen: weit aufgerissene Augen, die Zähne schnatternd, das Fell geplustert und gesträubt. Als er eintrat, machten sie ein paar Anstalten, sich wieder in die Gewalt zu bekommen doch ihr Entsetzen blieb trotzdem weiterhin unübersehbar.
    Mit unterdrückter, flüsternder Stimme fragte Koshmar: »Ist das das Ende der Welt?«
    Hresh starrte sie an. »Was meinst du damit?«
    »Ich dachte, der Himmel zerreißt. Ich dachte, die Blitze entzündeten die Berge mit Feuer.«
    »Und die Donner«, sagte Torlyri. »Wie eine riesige Trommel. Ich hab schon gedacht, ich werde taub davon.«
    »Ich habe nichts gehört«, sagte Hresh. »Ich habe nichts gesehen. Ich hatte im Tempel zu arbeiten und habe nach den Antworten gesucht, die du von mir haben wolltest.«
    »Du hast gar nichts gehört?« fragte Torlyri. »Ganz und gar überhaupt nichts?« Die beiden fröstelten immer noch. Also muß es wohl wirklich kataklystische Ausmaße gehabt haben, dachte er. Die Frauen konnten nicht begreifen, wie ihm entgangen sein könne, was da geschehen war.
    »Vielleicht schützte mich der Stein gegen den Lärm des Sturmes ab«, sagte er.
    Aber er wußte, daß das nur ein Teil der Wahrheit war, und überdies ein sehr kleiner Teil. Denn was da an fürchterlichem Aufruhr geschehen sein mochte – es war sein Werk gewesen. Er hatte den gewaltigen Donner und die schrecklichen Blitze ausgelöst, während er den Wunderstein benutzte – und ihn möglicherweise auch ein wenig falsch benutzte. Natürlich hatte er das Getöse nicht gehört, so hoch droben, wie er gewesen war. Er war schließlich das Getöse gewesen, als dieses seinen Höhepunkt erreicht hatte.
    Aber, das zu wissen, das wäre für die beiden Frauen gar nicht so besonders gut.
    Er sagte also nur: »Ich habe jetzt die Gewißheit, die du haben wolltest, Koshmar. Der Wunderstein hat

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