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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Schlag, und es folgten drei Tage voller stürmischer Winde aus dem Norden mit schweren kalten Regengarben. Der Himmel verfinsterte sich und blieb schwarz. Man sah Geschöpfe der Luft, die unsteten Flugs gegen den Wind ankämpften und vergeblich sich mühten, nach Westen zu streben, während sie beständig weit in den Süden abgetrieben wurden.
    »Ein neuer Todesstern hat die Erde getroffen«, sagte Kalide zu Delim. »Der Lange Winter kehrt zurück.«
    Delim trug diese Information weiter und erklärte Cheysz, sie habe gehört, daß der Regen sich bald in Schnee verwandeln werde.
    »Und wir werden alle erfrieren«, sagte Cheysz zu Minbain. »Wir müssen alles abdichten und versiegeln, so wie es damals im Kokon gewesen ist, oder wir werden des Todes sterben, wenn der Lange Winter wiederkehrt.«
    Und Minbain ließ Hresh zu sich rufen und fragte ihn aus, was er von diesen Dingen wisse. »War es also nichts weiter als ein Scheinfrühling?« fragte sie streng. »Und sollten wir nicht in den Höhlen unter Vengiboneeza Nahrung einlagern, damit wir die Zeit des Frostes überdauern?« Das Leben hier in Vengiboneeza, sagte sie, sei zu leicht geworden, zu bequem, es sei eine Falle, die ihnen die Götter aufgestellt hätten: Die Sonne werde sich verdunkeln und ausgelöscht werden, über Monde oder gar Jahre hin, und sie würden allesamt zugrunde gehen, wenn man nicht Sofortmaßnahmen ergreife. In den alten Kokon könne man unmöglich zurückkehren; nein, sie würden sich hier in Vengiboneeza Schutz und Zuflucht schaffen müssen. Aber selbst hier, so groß Vengiboneeza auch sein mochte, würde sich vielleicht nicht ausreichend Asyl finden lassen, falls der Lange Winter wieder über die Welt hereinbräche. Schließlich, die Saphiräugigen hätten ja hier auch nicht überleben können. Als würde der Stamm ein günstigeres Schicksal haben?
    Hresh lächelte. »Du besorgst dich zu sehr, Mutter. Es besteht nicht die Gefahr des Erfrierens und des Frosts. Das Wetter hat sich nur gerade mal ein wenig verschlechtert, und in ganz kurzer Zeit wird es sich wieder bessern.«
    Aber das Gerücht war sogar bis an Koshmars Ohren gedrungen und war unterwegs verhängnisvoll angeschwollen. Darum sandte auch sie nach Hresh. »Bedeutet dies wahrlich die Wiederkunft des Langen Winters?« fragte sie ihn, und sie sah dabei düster aus und verkniffen, hatte den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, und ihre Augen unter den gesenkten Lidern funkelten hart. »Trifft es zu, daß die Sonne tausend Jahre lang nicht mehr scheinen wird?«
    »Es ist weiter nichts als ein übler Wettersturz – glaube ich.«
    »Aber wenn es hier im geschützten Vengiboneeza schon so schlimm ist, dann muß es anderwärts noch viel scheußlicher zugehen.«
    »Vielleicht. Aber in ein paar Tagen wird es hier wieder angenehm warm sein, Koshmar. Jedenfalls glaube ich das.«
    »Du glaubst es! Nimmst es an? Aber kannst du sicher sein, daß es so kommt? Es muß doch eine Methode geben, wie man das feststellen kann.«
    Er warf ihr einen unsicheren Blick zu. Koshmar hatte für sich und Torlyri ein schnuckeliges Nest eingerichtet in diesem festen kleinen Haus im Schatten des Großen Turmes. An den Wänden hingen zartduftende Binsengewebe, überall waren dicke Fellteppiche und Sträuße trockener Blüten. Und doch pfiff nun der bittere Wind peitschend gegen die Fenster und schoß durch die Luftschächte und brachte einen eisigen Hauch in den Raum. Von allem Anfang an hatte Koshmar immer darauf beharrt, daß der Lange Winter beendet sei. Sie hatte sich mit der ganzen Glut ihres Herzens dafür stark gemacht, den Auszug aus dem Kokon zu organisieren und den Großen Treck nach Vengiboneeza zu führen. Hresh kam der Gedanke, daß etwas in Koshmar zerspellen könnte, sollte es sich erweisen, daß sie sich geirrt hatte.
    Sie verlangte also nach Sicherheit, nach Bestätigung von ihm, ihrem Chronisten, von ihrem Stab und Stecken der Weisheit. Aber was hatte er ihr zu sagen? Er wußte über Wind und Stürme ebensowenig wie alle anderen. Er war aufgewachsen in dem Kokon, in dem keine Winde wehten. Vielleicht wäre Thaggoran in der Lage gewesen, die Omina zu deuten und Koshmar wahrzusagen, was die jetzige Lage betraf. Thaggoran, tief verwurzelt, eingebettet im Schatz der Überlieferung, war fast jeder Situation gewachsen gewesen. Aber er war eben ein alter und weiser Mann gewesen. Und Hresh war nur jung und klug und noch kein Mann – und das war durchaus nicht vergleichbar.
    Es muß eine Methode geben,

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