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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Anziehungskraft aus.
    Inzwischen wußte er, daß der steinerne Schwebeblock, der ihn nach unten trug, automatisch nach einer gewissen Zeitspanne aus der Kellerhöhle wieder aufwärts fuhr; also hatte er nun Haniman oder sonst jemanden nicht länger nötig, um den Abwärtsmechanismus in Gang zu setzen. Und wenn es da irgendwelche Gefahren gab, so war er gern bereit, sich auf sie einzulassen, wenn er dabei nur verhindern konnte, daß andere an seinen Reisen in die ferne Vergangenheit teilnahmen. Die Große Welt, das war seine ganz persönliche Schatzhöhle, und er wollte in ihr herumstöbern, wie es ihm gerade gefiel.
    Die Prozedur war jedesmal dieselbe. Man aktivierte den schwarzen Steinquader; man stieg zu der Maschine hinab; man ergriff den Barak Dayir mit dem Sensororgan; man faßte an die Hebel… und die Große Welt erwachte blitzschnell, greifbar nahe, lebendig und bestürzend zum Leben.
     Er trat niemals zweimal zum gleichen Zeitpunkt in diese Welt ein. Die äußere Struktur der Stadt schien jedesmal anders zu sein. Es war, als habe diese Maschine die lange Geschichtsdauer des sagenhaften Vengiboneeza in sich gespeichert, diese ganzen hundertmal tausend Jahre des Wachstums und der Verwandlungen, und als böte sie ihm willkürlich beliebige Vergangenheitsschnipsel… manchmal aus dem Früh-Vengiboneeza, das noch in den Anfängen der prachtvollen Entfaltung steckte, manchmal aber war es auch eine Variante der Stadt, die zweifellos aus den allerletzten Jahren datierte, denn, so ähnlich war die Struktur dem Aufrißplan der Ruinenstadt.
    Es gab keinen drastischeren Beweis für die lebensstrotzende Dynamik, von der das alte Vengiboneeza beherrscht gewesen sein mußte, als diesen beständigen Wandel, der Hresh hier vor Augen geführt wurde. Selten einmal stieß er auf ihm vertraute Orientierungspunkte und Landmarken – die Hafenboulevards, die sechsunddreißig Türme der Plaza, den Turm, den sein Volk zum Tempel gemacht hatte, die Villenviertel an den Berghängen. Manchmal waren diese Bezugspunkte vorhanden, ein andermal wieder fehlten sie. Die flache, wuchtige, drohende Zitadelle blieb als einziger Ort unveränderlich und unerschütterlich sie selbst, wann immer Hreshs Seele sich über den Abgrund der Äonen zurück in die Vergangenheit schwebte.
    Einmal verlor er sich in einer Zeit, in der entlang den Straßen in den tieferliegenden Stadtteilen hohe weiße Palisaden wie Reihen von Speeren errichtet waren und die Stadt voll von Seeherren war, die in Scharen in ihren schimmernden Silberkaleschen vom Uferkai heraufparadierten. Ein andermal wirbelten droben Paniere aus einer unerklärlichen Energie in knisterndem Wirrwarr buntfarbiger Lichter, und eine gewaltige Pilgerschar von Hjjk-Leuten wand sich in den Berg hinab, unzählbare Millionen von ihnen, die hintereinander sich in die Stadt fädelten, die sie in sich aufnahm, als sei ihre Kapazität unermeßlich und unbegrenzt. Oder es zeigte sich Hresh ein Aufzug einer Schar von Menschen – widerwillig gestand er ihnen jetzt diesen Status zu, da er kaum anders konnte, obschon er noch immer verzweifelt hoffte, bei der Auswertung seiner Entdeckungen einer Fehlinterpretation aufgesessen zu sein –, fünfzig, sechzig an Zahl von diesen haarlosen, dünngliedrigen Geschöpfen, die sich dann auf einem weiten Platz der Stadt dicht unterhalb der Zitadelle niederließen. Dort tauschten sie dann stumm ihre Gedanken aus, und er war von dieser Kommunikation völlig ausgeschlossen, so sehr er sich auch bemühte, ihr Geheimnis zu enträtseln.
    Doch überwiegend war Vengiboneeza eine Stadt der Saphiräugigen. Sie beherrschten sie. Auf jeweils zehn Angehörige der anderen Rassen, die Hresh erblickte, kamen mindestens hundert von diesen Reptilischen, wenn nicht tausend. Er sah sie, wohin immer er blickte: dickschenkelig, mit langen Kinnbacken, monströs von Körpergestalt, mit funkelnden Augen, Kraft und Weisheit und selbstsichere Gelassenheit ausstrahlend.
    Es war für Hresh weiter nicht schwer, in ein Gespräch mit den Wesen zu kommen, denen er in Vengiboneeza begegnete, selbst mit den Meeresherren, selbst mit den Menschen. Jedermann verstand ihn, und jedermann war ausnahmslos höflich. Doch mehr und mehr zwang sich ihm die Erkenntnis auf, daß es sich dabei nicht um reale, wirkliche Unterhaltungen handle. Vielmehr waren es nette Phantasmagorien, Illusionen, die der Apparat erzeugte, der sein Tor in die Vergangenheit war. Er selbst war nicht wirklich dort in der Großen Welt, die vor

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