Am Ende des Winters
Dieser Entschluß war qualvoll gewesen; aber auch wenn es die endgültige Trennung von der Mutter bedeutete, wie hätte er seinen Stamm im Stich lassen können und all das, was in Vengiboneeza noch unerledigt auf ihn wartete, und all das, was er von dem Volk der Behelmten lernen könnte… und Taniane, ja, auch Taniane! –, um mit diesem Scheusal Harruel und seiner Handvoll Anhänger in die Wildnis zu ziehen? Nein, das war nicht das Schicksal, das er für sich bestimmt glaubte.
Minbains Verlust war der einzige tiefe Schmerz, den er fühlte. Gewiß, er empfand Mitgefühl mit Torlyri, weil sie ihren Partner verloren hatte; doch Lakkamai hatte ihm recht wenig bedeutet, ebenso Salaman oder Bruickos oder sonst einer von denen, die mit Harruel gezogen waren. Sie waren weiter nichts als Leute, bekannte Gesichter, Teile des Stammes. Nie war er ihnen nahe gewesen, so wie er Torlyri oder Taniane oder Orbin oder sogar Haniman sich nahe fühlte. Von denen war keiner fortgezogen, oder ihr Weggang hätte ihm sehr weh getan. Doch Minbain war ein Teil seiner selbst gewesen und er von ihr, und dies alles war nun auseinandergerissen und gespalten. Von dem Tag an, an dem Harruel sich Minbain zur Gefährtin genommen hatte, hatte Hresh die dunklen Wolken sich zusammenbrauen sehen. Denn was Harruel berührte, das veränderte und verschlang er am Ende.
Wie seltsam, daß der Mann nicht mehr da war. Er hatte dermaßen viel Raum eingenommen im Volk – eine düstere, launenhafte und in wachsendem Maße auch furchterregende Persönlichkeit – und nun auf einmal war da eine leere Stelle. Es war fast, als wäre der große grüne Berg über der Stadt plötzlich verschwunden. Man mochte diesen Berg vielleicht nicht gerade lieben, und vielleicht kam er einem auch überwältigend und bedrohlich vor, doch man hatte sich daran gewöhnt, ihn da aufragen zu sehen, und sollte er verschwinden, so würde dies das Gefühl einer beunruhigenden Leere zurücklassen.
Und war es schon beklemmend, daß der Stamm in einer einzigen Stunde derart einschneidend geschrumpft war, so war es noch viel beunruhigender, daß da eine ganze Horde von Fremden sich ganz in der Nähe niederlassen wollte.
Wenige Stunden nach Harruels Abspaltung war der gesamte Beng-Stamm auf den großen roten Bestien, die sie »Zinnobären« nannten, in die Stadt eingezogen. Und es gab ihrer mehr, als man im Volk vermutet hatte: gut über hundert, darunter etwa dreißig, die allem Anschein nach Krieger waren. Sie besaßen achtzig oder neunzig Zinnobären, manche waren Reittiere, andere trugen Lasten. Weitere Packtiere, kleiner und blaugrün mit komischen dickknöcheligen Beinen, folgten im Troß. Es dauerte den ganzen Tag, bis der Zug der Beng durch das Tor in die Stadt gezogen war.
Koshmar bot ihnen den Dawinno-Galihine-Distrikt zur Niederlassung an. Es war ein anziehender Teil der Stadt, gut erhalten, mit Brunnen und Plätzen und ziegelgedeckten Gebäuden – und in beträchtlicher Entfernung von der Siedlung des Volkes. Hresh war wenig begeistert, daß sie dieses Stadtviertel erhalten sollten, da es dort Sachen gab, die er nicht richtig erforscht hatte. Doch Koshmar wählte den Bezirk gerade darum aus, weil es ein isolierter Sektor in der Stadt war und mit dem Hauptareal nur durch eine schmale Zufahrt verbunden, die zu beiden Seiten dicht mit einsturzgefährdeten, wackeligen Bauten bestanden war. Sie war der Meinung, daß es im Falle eventueller zwischen den zwei Stämmen ausbrechender Feindseligkeiten dem Volk möglich sein werde, die Beng festzunageln, indem man diese brüchigen Bauten zum Einsturz brachte und durch die Trümmer die Zufahrtsstraße blockierte.
Haniman überbrachte Hresh diese Neuigkeit; der aber schüttelte den Kopf. »Sie begeht einen Riesenfehler, wenn sie das glaubt. Die Beng haben dreimal soviele Krieger wie wir. Und diese riesigen gezähmten Bestien. Es gibt keine Möglichkeit, wie wir sie je innerhalb von Dawinno Galihine unter Blockade halten könnten.«
»Aber wenn die alten Häuser einstürzen, wie sollten sie dann herauskönnen?«
Hresh lächelte. »Sie würden die Zinnobären einsetzen, um die Trümmer beiseite zu räumen. Meinst du etwa, das würde denen schwerfallen? Und dann würden sie direkt auf unsere Siedlung zugepoltert kommen und alles niedertrampeln, was sich ihnen entgegenstellt.«
Haniman vollführte eine ganze Kette heiliger Abwehrzeichen in der Luft. »Yissou soll uns schützen, meinst du wirklich, daß es dazu kommt?«
Mit einem
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