Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
und die Stadt verlassen würde. Aber Torlyri blieb.
    Nun wandte sich Harruel an seine Partnerin.
    »Minbain?«
    »Ich komme«, sagte sie ruhig. »Wohin du gehst, dahin will auch ich gehen.«
    »Und du – Hresh?« fragte Harruel schließlich. »Deine Mutter schließt sich uns an, dein jüngerer Bruder, Samnibolon, zieht mit uns. Und du, willst du zurückbleiben?« Und er kam auf Hresh zu und stellte sich drohend und groß vor ihm auf. »Wir werden deine Kenntnisse und Künste in unsrem neuen Leben gut verwenden können. Du würdest unser Chronist sein, genau wie du es hier warst, und was immer du dir wünschen magst, Knabe, es soll dein sein. Also, kommst du mit mir?«
    Hresh vermochte nicht zu antworten. Sprachlos stierte er seine Mutter an und dann Koshmar und Torlyri – und Taniane.
    »Also?« fragte Harruel drohender. »Kommst du?«
    Hresh spürte, wie die Welt rings um ihn zu wirbeln begann.
    »Also?« fragte Harruel noch einmal.
    Und Hresh senkte die Augen und sagte: »Nein.« So leise sagte er es, daß keiner verstand.
    »Was? Was hast du gesagt? So sprich doch lauter!«
    »Nein!« wiederholte Hresh, diesmal deutlicher. »Ich gedenke hierzubleiben, Harruel.« Und er spürte, wie ihm das Blut wild durch den Körper schoß, und dies verlieh ihm Kraft und Festigkeit. »Wir alle werden eines baldigen Tages Vengiboneeza verlassen müssen«, sagte Hresh. »Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Und es soll nicht auf diese Weise geschehen. Ich bleibe hier. Ich habe hier noch einige Aufgaben zu erfüllen.«
    »Elender kleiner Knecht!« schrie Harruel. »Du verlauste mickrige hinterhältige Wanze!«
    Sein langer Arm sauste durch die Luft. Hresh sprang zurück, jedoch nicht rasch genug. Harruels Fingerspitzen fuhren ihm über die Wange, und die Wucht selbst eines derart oberflächlichen Streichs war derart gewaltig, daß Hresh durch die Luft geschleudert wurde und als bebendes Häuflein auf dem Boden landete. Und da lag er nun eine Weile und zitterte. Dann kam Torlyri zu ihm und richtete ihn auf und drückte ihn zärtlich an die Brust.
    »Wer noch?« fragte Harruel. »Wer unter euch will mir noch folgen? Wer? Wo seid ihr? Wer? Wer noch?«

12. Kapitel
Wie seltsam, daß sie fort sind
    Dieser Tag sollte später als ‚Tag der Spaltung’ in die Geschichte eingehen. Elf erwachsene Stammesmitglieder waren davongezogen, und zwei Kinder; und noch lange danach sagte man im Volk: Wie seltsam, daß sie fort sind – und lauschte in die Stadt wie nach dem Verhallen eines gewaltigen Gongs.
    Es dauerte sogar mehrere Wochen, ehe Hresh sich überwinden konnte, das Ereignis in die Chronik einzutragen. Er war sich bewußt, daß er seine Pflicht vernachlässigte, und dennoch verschob er es immer wieder, bis er eines Morgens feststellte, daß er nicht mehr sicher war, ob es nun zehn oder nur sieben Erwachsene gewesen waren, die auszogen. Da begriff er, daß er einen Bericht über die Geschehnisse anfertigen müsse, bevor ihm das Ganze noch undeutlicher zu werden drohte. Dies war er denen schuldig, die in künftigen Tagen die Chronik lesen würden. Und so schlug er das Buch auf und drückte die Finger gegen das kühle Pergament der nächsten leeren Seite und sagte, was er zu sagen hatte, und dies war: Daß der Krieger Harruel sich wider die Herrschaft der Stammesführerin Koshmar erhoben und eine Rebellion angezettelt habe und aus der Stadt gezogen sei, und mit ihm gezogen seien die Männer Konya, Salaman, Nittin, Bruikkos und Lakkamai und die Weiber Galihine, Nettin, Weiawala, Thaloin – und Minbain.
    Am schwersten ward ihm, den Namen seiner Mutter einzutragen. Als er es versuchte, wollte der Name nicht richtig erscheinen, und seine Fingerballen druckten Mulbome und dann, nachdem er das getilgt hatte, Mirbale, ehe es ihm gelang, den Namen richtig auf dem Blatt erscheinen zu lassen. Lange saß er da und starrte die gezackten braunen Lettern an, als er den Eintrag beendet hatte, und legte immer wieder die Fingerspitzen auf das Blatt um wieder und wieder zu lesen, was er geschrieben hatte.
    Ich werde meine Mutter niemals wiedersehen, sagte er sich. Aber den Sinngehalt dieser Worte vermochte er nicht völlig zu begreifen, so oft er sie auch vor sich hinsagte.
    Manchmal fragte sich Hresh, ob er nicht mit ihr hätte ziehen sollen. Als er sie damals angesehen hatte, als Harruel ihn aufforderte mitzukommen, hatte er das stumme Drängen in ihrem Blick gelesen. Und es hatte ihm weh getan, daß er sich abwenden, ihr die Bitte verweigern mußte.

Weitere Kostenlose Bücher