Am Ende eines Sommers - Roman
hundert Meilen pro Stunde drauf. Meine Haare flattern, und der feuchte Nebel legt sich auf meine Haut und dringt durch mein weißes T-Shirt. Ich renne immer weiter ins Tal, springe über Bäche und galoppiere an Dornenbüschen vorbei, die nach meinen Kleidern greifen. Aber ich lasse mich nicht aufhalten; ich genieße die kühle Morgenluft und das Gefühl, dass die Welt mir gehört. Auf der anderen Seite des Tals dringt die Sonne durch den Nebel. Ich setze mich auf einen staubigen Hügel und lehne mich an einen alten Olivenbaum. Von hier aus habe ich einen ausgezeichneten Blick auf La Font de Paul. Ich sehe die alte Scheune, die das ausgebaute Haus verdeckt, die beiden Zelte – ein großes und ein kleines –, den kleinen weißen Austin und den großen, staubigen Volvo. Weiter hinten erkenne ich ein paar Kühe, die auf der Weide oberhalb von La Font grasen. Aber sie sind so langsam, dass ich nicht sehen kann, ob sie sich überhaupt bewegen. Ich weiß, dass die Hitze die andern irgendwann heraustreiben wird. Die Sonne wird die Zelte nach und nach in Saunen verwandeln. Ein großer, gelber Schmetterling flattert an mir vorbei über das Feld. Kein Lüftchen regt sich, und mein feuchtes T-Shirt fängt an zu dampfen, als es wärmer wird. Bald kommt George aus dem kleinen Zelt. Er reckt sich, bleibt kurz stehen und schaut in meine Richtung. Dann pinkelt er ein Stück weit abseits gegen einen Baum und geht zum Haus. Essen. Das ist sein erster Gedanke, wenn er aufwacht. Kurz darauf kommen Andy und Katy aus dem Haus; wahrscheinlich hat George sie mit seinem Geklapper geweckt. Sie heben die Tennisschläger auf und gehen damit auf das trockene Feld vor der Scheune. Ich sehe, wie sie den gelben Tennisball hin und her schlagen, aber er bleibt nie lange in der Luft, denn Andy prügelt zu heftig darauf ein. Katy macht die ganze Arbeit; sie rennt dauernd und holt den Ball zurück, und Andys Körperhaltung sagt: Ach, Katy, gib dir ein bisschen mehr Mühe. George kommt auf den Platz, und sie stehen da und reden miteinander, bevor er weiterläuft, am Haus vorbei und auf den Wald zu. Wahrscheinlich sucht er mich. Tante Rachel ist jetzt auch auf. Sie taucht die Hände in die kleine Blechwanne, die neben der Scheune auf ein paar Steinen balanciert, und rubbelt die Wäsche, die sie gestern Abend eingeweicht hat. Stück für Stück hebt sie die Teile aus der Wanne, taucht sie in einen anderen Eimer, wringt sie aus, schlägt sie aus und trägt sie zu der Wäscheleine, die sich quer durch den Garten spannt. Bis zum Mittag wird alles trocken sein. Ich sehe ihr eine Ewigkeit lang zu und versuche bei jedem Wäschestück herauszufinden, was es ist. Ob Mum unsere Sachen nachher auch waschen wird? Mir gehen allmählich die Unterhosen und Socken aus. Dad kommt aus dem Zelt. Er reckt sich wie George und schaut kurz herüber. Tante Rachel ist fertig mit der Wäsche, und die beiden wechseln ein paar Worte, bevor Dad ins Haus geht. Sofort kommt er mit einer Flasche Wasser wieder heraus, rollt die Zeltklappe hoch und bückt sich, um hineinzukriechen. Blinzelnd versuche ich zu sehen, was in dem Zelt vorgeht, aber ich kann nichts erkennen. Also bleibe ich sitzen und warte und male mit einem Stöckchen Bilder in den Staub. Als Mum und Dad endlich herauskommen, sehe ich, dass es ihr nicht gut geht. Sie ist auf, aber in sich zusammengerollt, und sie lässt den Kopf hängen wie immer, wenn sie eine miese Phase hat. Vor dem Zelt bleibt sie stehen und schlingt die Arme um den Oberkörper, als ob ihr kalt wäre. Wie eine alte Frau. Tante Rachel und Dad gehen ins Haus und kommen mit einem Klapptisch und Stühlen wieder heraus. »Katy!«, ruft Tante Rachel, und Katy und Andy lassen die Schläger fallen und rennen zum Haus. Sie fangen an, den Tisch zu decken; offenbar wollen sie in der Sonne frühstücken. Dad setzt Mum auf einen der Klappstühle und holt ihr eine Decke aus dem Zelt. Sie sieht ihn nicht an. George taucht wieder auf; er rennt durch das Gras und bleibt am Tisch stehen, um mit allen zu reden. Er dreht sich zum Tal um und macht mit dem Arm einen weiten Bogen; er zeigt zum Wald und dann in den Garten. Ich zeichne eine Gorgo in den Staub, mit wilden Schlangenhaaren und gefährlichen Augen. Ich streiche mit der Hand über das Bild und lasse es verschwinden. Gerade noch da, jetzt weg. George setzt sich auf die Picknickdecke, um zu frühstücken. Jetzt sind alle da. Mum, Dad, Andy, Tante Rachel, George und Katy. Alle essen, nur Mum nicht. Sie essen und reden,
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