Am Ende eines Sommers - Roman
und hält mein Haar im Nacken zu einem kleinen Knoten zusammen.
»Hör auf!«, maule ich und zucke mit den nackten Schultern, um sie abzuschütteln. Sie lässt los, und meine Haare fallen wieder über die Ohren.
George setzt sich neben mir an den Tisch, und Tante Rachel ruft alle andern zum Essen.
»Wollt ihr Jungs ein Hemd oder so was?«
»Nee«, sagen wir gleichzeitig.
»Ihr beide seht aus, wie aus dem Herrn der Fliegen entsprungen«, sagt sie. »Verwildert.«
Tante Rachel stellt zwei Flaschen Wein auf den Tisch, eine große Schüssel Salat, zwei Stangenweißbrote und eine Kasserolle mit Bœuf Bourguignon . Wir bedienen uns, und Rachel schenkt den Wein ein.
Dad war unten am Hydranten und hat sich gewaschen. Er kommt als Letzter an den Tisch und setzt sich George und mir gegenüber. Er greift nach seinem Weinglas, hebt es an die Lippen und schaut uns über das Glas hinweg an. Er stutzt und schaut George ins Gesicht, dann mir, dann wieder George. Er stellt das Glas wieder auf den Tisch. Sieht uns noch einmal an.
»Hier, Bill. Nimm dir von dem Bœuf .« Tante Rachel schiebt ihm den Topf zu.
Er sieht sie an und nickt. Rachel runzelt die Stirn, als ob sie verwirrt wäre. Dads Gesicht ist ziemlich blass im Vergleich zu seinen braunen Armen. Er sieht wieder mich an und dann George.
»Alles okay, Dad?«, frage ich.
Er füllt seinen Teller und reicht Mum den Topf. »Alles prima, Sohnemann.«
»Vielleicht hat die Hitze ihn auch geschafft«, vermutet Andy.
»Vielleicht«, sagt Dad, und alle lachen.
Das Abendessen dauert eine Ewigkeit, und die ganze Zeit reden und lachen alle. Dad ist wirklich vergnügt, und Mum und Tante Rachel haben anscheinend schon einen kleinen Schwips, als sie die zweite Flasche Wein aufmachen.
» Salut !«, sagt Dad und hebt sein Glas.
»Hoch die Tassen!«, sagen Mum und Tante Rachel gleichzeitig. Wir alle johlen.
Zum Nachtisch gibt es eine tarte au citron , die Tante Rachel in der pâtisserie im nächsten Ort gekauft hat. Sie stellt einen Süßwein dazu auf den Tisch, und ich und George dürfen auch einen Schluck davon trinken. Er schmeckt fies, aber ich trinke ihn trotzdem.
»Du hast immer schon gewusst, wie man alles richtig macht, Rachel«, sagt Mum. Ihre Zunge ist schwer.
Dad schaut vor sich auf den Tisch, und Tante Rachel lächelt schmal, ein höfliches Lächeln, das sie nicht wirklich meint.
»Weißt du noch, wie Mum immer wollte, dass du sonntags den Nachtisch machst? Du warst immer so gut in solchen Sachen. Eine viel bessere Ehefrau als ich!« Das Letzte blubbert sie hervor, als wäre es unendlich komisch.
»Da bin ich nicht so sicher, Mary«, sagt Tante Rachel. »Ich weiß nicht, ob Robert, wenn er jetzt hier wäre, sagen würde, ich wäre die beste Ehefrau der Welt. Tatsächlich war ich manchmal eine beschissene Ehefrau.«
Dads Blick huscht zu Tante Rachel hinüber und kehrt dann zur Tischplatte zurück.
»Na. Du bist besser als ich. Aber egal.« Mum steht von der Bank auf. Sie hält sich fest, als sie die Beine unter dem Tisch hervorschwenkt. »Ich muss pinkeln. O Gott! Darf ich ins Gebüsch pinkeln, Rach? Dieses Campingklo kann ich nachts nicht benutzen. Es stinkt!«
»Na los«, sagt Tante Rachel. »Aber geh um das Haus herum zur Seite.«
Mum verschwindet durch die Hintertür, und ich sehe, dass sie sich bemüht, sicher und aufrecht zu gehen. Andy und Katy nehmen ihre Karten und eine der Gaslaternen und ziehen um ins Schlafzimmer. Seit wir hier sind, haben sie pausenlos Memory gespielt. Andy ist entschlossen, nicht gegen Katy zu verlieren. Sie gewinnt aber immer, also muss er weiterspielen.
Dad fragt Tante Rachel: »Noch Wein?« und gießt ihr den Rest aus der Flasche ins Glas.
Tante Rachel reibt sich mit den Handballen die Augen. Als sie Dad ansieht, ist es wie eine Warnung.
»Dass wir dich das letzte Mal gesehen haben, ist lange her. Vor Jakes Geburt«, sagt Dad. »Warum hat es so lange gedauert?«
Tante Rachel fängt an, den Tisch abzuräumen. »Nicht aus freien Stücken, Bill«, sagt sie, und ihre Stimme klingt beherrscht und knapp.
Dad fummelt an dem Kerzenwachs herum, das auf den Tisch getropft ist.
Tante Rachel nimmt ihr Weinglas und stemmt eine Hand in die Hüfte. Sie hat etwas richtig Wütendes im Blick. Ich habe es noch nie gesehen, und es erinnert mich an Mum. »Jungs – geht mal raus und seht nach Mary. Es ist stockfinster da draußen; sie stolpert, wenn sie nicht aufpasst. Hier, nehmt die Laterne mit.«
Wir lassen die beiden im Licht des Feuers
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