Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
Vom Netzwerk:
als wäre sie nicht da.
    Plötzlich, als ob etwas Schreckliches passiert wäre, springt Mum auf und lässt die Decke fallen. Sie nimmt Georges Hand und zieht ihn zu der Böschung. Sie redet auf ihn ein, und er schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln.
    Sie lässt seinen Arm los, und George schaut in meine Richtung. »Jake! Kuckuck! Kuckuck!«
    Er weiß nicht, dass ich da bin, versteckt im Schatten dieses alten Baums. Er versucht es einfach, weil Mum es so will. Ich bleibe stumm.
    Mum dreht sich zu Dad um. Er steht langsam auf und klopft sich die Krümel vom Schoß. Er kommt zu ihr und legt ihr den Arm um die Schultern. Sie schüttelt ihn ab und schwenkt wild die Arme.
    »Jake!«, ruft Dad über das Tal. »Jake!«
    Dann rufen alle. Jake! Jake! Der Klang meines Namens hallt und hüpft über Felder und ausgetrocknete Bachbetten, und ich sehe, wie sie rennen: um das Haus herum, in die Scheune und wieder heraus, hinunter auf das Feld und den Weg hinauf zum Wald. Nur Mum sitzt auf ihrem Klappstuhl und hat den Kopf in beide Hände gestützt. Ich sitze an meinem schattigen Fleckchen, und die Welt kippt leicht zur Seite, als ich mir ausmale, dass Miss Terry durch das dunstige Tal kommt und mir Wasser bringt. Mein Herz schlägt langsam, wie gestern, und ich schließe die Augen und bin da, wo alles dunkel und kühl ist. Die Erde bewegt sich, aber ich bleibe an Ort und Stelle, ich sitze wie festgewachsen auf dem trockenen Boden unter dem knorrigen alten Baum. Als das Tal wieder still wird, komme ich aus dem Schatten. Ich trete in die Sonne und gehe langsam zurück.
    »Kuckuck!«, rufe ich George zu.
    »Kuckuck!«, ruft er zurück.
    Sie stehen nebeneinander auf der felsigen Böschung am Garten, beschirmen die Augen gegen die Sonne und halten nach mir Ausschau. Plötzlich deutet George auf mich und rennt los, gefolgt von Andy und Katy. Wir treffen uns an dem Elektrozaun.
    »Wo hast du gesteckt, Alter?«, fragt George stirnrunzelnd. »Deine Mum ist durchgedreht. Regelrecht durchgedreht.«
    »Mann, kriegst du einen Ärger!« Andy grinst, und Katy kichert.
    »Nein, kriegst du nicht«, sagt George. Er hält das Ohr dicht an den Draht und lauscht auf den durchfließenden Strom, und dann nickt er mir zu: Ich kann rüberspringen. »Wir haben uns nur alle Sorgen gemacht. Dass du dich verlaufen hast oder so. Komm frühstücken, Alter.«
    Wie geplant, packen Tante Rachel, George und Katy am nächsten Morgen ihre Sachen, um nach Hause zu fahren. Ihr Auto ist nicht halb so eng wie unseres, und schon nach kurzer Zeit ist alles an seinem Platz, und wir stehen in der Morgensonne, um uns zu verabschieden. Mum ist immer noch still, aber sie ist bei uns, und sie umarmt Tante Rachel und zieht die Strickjacke fester um sich. Mir ist so heiß, ich kapiere nicht, wie sie Wollsachen tragen kann. Andy und Katy lehnen an der Motorhaube; sie spielen Schere, Papier und Stein und schlagen einander auf die Hände, wenn sie etwas falsch machen. Katy kichert wie verrückt und versucht, ihre Hand rechtzeitig wegzuziehen.
    »Ich hab euch ein paar Tipps auf den Tisch gelegt«, sagt Tante Rachel mehr zu Dad als zu Mum. »Der Weg nach Beauville – ihr werdet ja einkaufen müssen, nehme ich an. Und dann eine Liste der Dinge, die ihr tun müsst, bevor ihr nächste Woche alles abschließt. Die Gasflasche abklemmen und zudrehen, die Fensterläden einsetzen und so weiter. Davon abgesehen gehört jetzt alles euch!«
    Plötzlich fällt mir ein, dass ich George versprochen habe, ihm ein Buch zu leihen. Ich renne zum Zelt und zerre meinen Rucksack heraus.
    »Halt mal«, sage ich, als ich wieder bei den andern bin, und George hält den Rucksack an den Riemen fest, während ich ein paar Bücher heraushole.
    Ich stapele sie aufeinander und suche das richtige heraus, dabei klappt mein Notizblock auf, und das Foto von Granddad fällt heraus und landet vor Mums nackten Füßen im Gras. Ich hatte ganz vergessen, dass es darin war; ich hatte es nur in den Block gelegt, damit es glatt blieb. Mum bückt sich und hebt es auf.
    »Was ist das?« Stirnrunzelnd betrachtet sie das alte Schwarz-Weiß-Bild.
    »Das ist Granddad.« Ich beuge mich vor und zeige auf ihn. »Da. Dads Dad. Er sieht haargenau so aus wie ich, nicht wahr?« Ich lache, sehe wieder, wie ähnlich wir uns sind.
    Mum starrt das Foto an, dann hebt sie langsam den Kopf und sieht George an. George merkt nichts; er ist darin vertieft, die Rückseite des Buches zu lesen, das ich ihm gegeben habe. Mum dreht sich zu Dad um. Der

Weitere Kostenlose Bücher