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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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zurück und gehen um das Haus herum – dahin, wo Mum sein soll. Aber schon bevor wir da sind, weiß ich, dass wir sie da nicht finden.
    »Wo kann sie von hier aus hingegangen sein?«, frage ich George ungeduldig.
    George geht voraus und hält die Laterne hoch. »Sie hat keine Taschenlampe und nichts. Also kann sie nicht weit sein.«
    Wir gehen einmal ganz um das Haus herum, aber von ihr keine Spur.
    »Versuch’s mal auf dem Klo«, schlage ich vor. »Vielleicht hat sie es sich anders überlegt und ist doch dahin statt ins Gebüsch.«
    Wir klopfen an die Holztür des Kloschuppens, aber da ist sie auch nicht. Meine Stirn wird wieder kühl und schweißfeucht wie vorhin, als ich ohnmächtig geworden bin. Ich fange an, hin und her zu rennen und ihren Namen in die Dunkelheit zu rufen. George packt mich beim Ärmel und sagt, ich soll mich beruhigen.
    »Sie kann nicht weit sein, Alter. Ihr ist nichts passiert.«
    Ich nicke. »Ja, du hast recht, George. Danke, Alter.« Ich bin froh, dass es dunkel ist. So sieht er die Panik in meinen Augen nicht.
    Wir gehen weiter in die große Scheune. George hält die Lampe hoch und leuchtet zu den Balken hinauf. Die Scheune ist riesig – so hoch und weit. Ich fühle mich winzig im Licht der Lampe.
    »Jakey!«, hören wir Mum von oben flüstern. Ich sehe nur Balken und Leitern überall in der alten Scheune. »Jakey! Da ist eine Eule – eine Schleiereule«, keucht sie aufgeregt.
    George geht zur Mitte der Scheune und hält die Laterne hoch. In einem großen, sauberen Bogen gleitet die Eule quer durch die Scheune und wirft einen riesigen Schatten über die Deckenbalken. Ich sehe Mum. Sie hockt zwischen den Balken auf einer hohen, schmalen Leiter, das Kinn auf den Knien, und strahlt wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum.
    »Jakey! Hast du sie gesehen? Hast du sie gesehen!«
    George dreht sich entsetzt zu mir um. »Scheiße. Hol deinen Dad, Alter. Sie kann sich umbringen da oben. Das Holz ist völlig verrottet. Hol ihn, schnell!«
    Ich renne zurück zum Haus, stolpere im Dunkeln und schlage mir an einem Stein das Knie auf. Als ich am Fenster vorbeikomme, sehe ich Dad und Rachel. Sie stehen jetzt beide vor dem Kamin. Rachel hat die Arme verschränkt, Dad stemmt die Hände in die Hüften. Im Garten höre ich Andy und Katy; sie sind jetzt draußen, zeigen hinauf zu den Sternen und reden. An der Hintertür bleibe ich stehen.
    »Man braucht sie doch nur anzusehen, Rachel«, sagt Dad. Er ist wütend. »Sie sind praktisch identisch!«
    »Du irrst dich, Bill. Du bist absolut im Irrtum.«
    »Warum sonst hast du dich all die Jahre von Mary ferngehalten?« Jetzt schreit er beinahe. »Vielleicht weiß sie es ja. Vielleicht ist es das, was in sie gefahren ist.«
    »Mary weiß es nicht!«, ruft Tante Rachel, und ihre Stimme klingt jetzt brüchig. »Sie kann es nicht wissen!«
    »Was denn?«, schreie ich und bleibe in der Tür stehen. »Was kann Mary nicht wissen?« Ich habe wieder Herzklopfen, und ich weiß, dass Mum oben auf der morschen Leiter hockt, aber ich weiß auch, dass es nicht so wichtig ist wie das hier.
    Dad und Rachel starren mich an, als hätten sie ein Gespenst gesehen. Ich weiß, sie werden es mir nicht erzählen. Genau wie alles andere.
    In diesem Moment hasse ich alle beide. Erschöpft lasse ich mich auf den Rand des Kamins fallen und sage: »Mum sitzt in der Scheune auf einer Leiter fest. George meint, das Holz ist morsch. Sie könnte abstürzen und sterben.« Es klingt nicht einmal wie meine Stimme.
    Sie stürzen beide zur Tür hinaus, und ich bin allein am Feuer. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie eine kleine Maus zur Tür herein und geradewegs das Tischbein hinaufläuft. Sie schnappt sich ein Bröckchen Brot, das auf dem Tisch liegt, und rennt wieder hinaus. Als sie weg ist, frage ich mich, ob ich geträumt habe.
    Am nächsten Morgen bin ich als Erster auf. Als ich aus dem Zelt krieche, liegen überall dicke Tautropfen, und schwerer Nebel hängt über dem Tal. Ich schiebe den Kopf in Mums und Dads Zelt. Mum liegt immer noch so auf der Seite, wie sie sie hingelegt haben, nachdem sie sie aus der Scheune geholt hatten. Dad liegt von ihr abgewandt und schnarcht. Ich wandere zwischen den Gebäuden herum und suche nach Lebenszeichen, aber es ist, als ob die ganze Welt schliefe, nur ich nicht. Für die Eidechsen ist es zu früh, für die Schleiereule zu spät. Sogar die Zikaden sind verstummt. Ich springe die Böschung hinunter und renne über das Feld. Es fühlt sich an, als hätte ich

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