Am Ende eines Sommers - Roman
er nicht will, dass du vor halb neun da bist? Unterwegs kommen wir am »Royal Oak« vorbei, und ich versuche durch das Fenster zu schauen, ob Dad da ist. Aber es ist rappelvoll, und die Fenster sind total beschlagen.
»Alles klar, Stu!«, rufe ich hinüber, als ich ihn hineingehen sehe. Er salutiert kurz, als ob er einen Hut abnähme, und verschwindet dann im Pub.
»Ach, das ist Stu??«, sagt Mum. »Dein Dad erzählt, er arbeitet bei Pete unten in der Spedition. Hat er nicht auch einen Jungen in deinem Alter?«
»Ja. Aber Malcolm wohnt in Southsea bei seiner Mum. Stu musste sich hier in der Nähe eine kleinere Wohnung besorgen, als sie sich getrennt haben. Bisschen wie Dad, nehme ich an. Ich hab Malcolm schon seit ’ner Weile nicht mehr gesehen.«
»›Ich habe‹, Jake. Es heißt: ›Ich habe Malcolm seit einer Weile nicht mehr gesehen.‹ Na, aber es ist schön, dass dein Dad einen Kollegen zum Trinken hat, oder?« Wir gehen weiter, und sie sieht sich noch einmal um und schaut zurück zum Pub. Die Türen sind offen, und der Partylärm schallt auf die kalte Straße heraus.
Andy hat mich den ganzen Nachmittag genervt, was ich anziehe, ob ich tanzen werde und ob ich glaube, dass ich bis Mitternacht wach bleiben kann. So ein Idiot. Manchmal ist er einfach ein dummer kleiner Junge, der überhaupt noch nichts versteht. »Du bist so uncool«, habe ich zu ihm gesagt. »Du Superdepp.« Er ist in der Tür stehen geblieben, hat die Hand unter den Pullover geschoben und unter der Achsel ein Furzgeräusch gemacht. Ich wollte ihn schnappen, aber er war zur Hintertür hinaus, bevor ich ihm eine scheuern konnte.
»Hast du deine Tanzschuhe angezogen, Jakey?«, fragt Mum. Sie sieht heute Abend wirklich hübsch aus mit ihrem Glitzer-Make-up und den funkelnden Ohrringen.
»Ja klar«, sage ich und verdrehe die Augen.
Sie lacht. Sie hat eine ganze Tasche mit Getränken für Sandy und Pete dabei, und außerdem hat sie einen Geflügelsalat gemacht. Die Flaschen klirren bei jedem Schritt an die Glasschüssel, und ich würde ihr am liebsten die Tasche abnehmen und die Flaschen so umstellen, dass sie nicht dauernd dieses Geräusch machen. Zu Hause steht der Alkohol in einem Schrankfach über dem Herd. Der Schrank hat starre Türen, die aufspringen, wenn man daran zieht, und dabei gibt es ein hartes Klick-Klack-Geräusch. Manchmal kann ich abends nicht einschlafen, weil ich darauf warte, dass dieses Klick-Klack endlich aufhört. Irgendwann macht es Klick-Klack-Klink-Klink, und dann kann ich schlafen.
»Bestimmt sind heute Abend auch andere Kinder da. Ihr werdet viel Spaß haben. Wahrscheinlich habt ihr das ganze Haus für euch, während wir alle unten tanzen! Es ist eine Ewigkeit her, dass wir Tante Sandy zuletzt gesehen haben, nicht wahr?« Ich habe schon lange nicht mehr erlebt, dass Mum sich auf etwas so sehr freut.
»Wann Dad wohl kommt?«, frage ich.
»Keine Ahnung. Ich nehme an, er wird im Oak etwas trinken. Er ist noch nie auf einer Party erschienen, ohne dass er schon zwei Pints intus hatte.« Sie macht ein ernstes Gesicht, aber ihr Tonfall ändert sich, als sie sieht, dass ich auch die Stirn runzle. »Nicht, dass es schlimm wäre – wir leben in einem freien Land!«
Als wir vor Sandys Haustür stehen, sehen wir eine Menge Leute hinter den Fenstern herumwimmeln, und über der weit offenen Tür hängt ein selbst gemachtes Transparent mit der Aufschrift: »1985! HAPPY NEW YEAR !« Wir gehen hinein, ohne groß anzuklopfen. Auf der Treppe sind ein paar Kids, die ich nicht kenne. Sie starren uns an. Ein Mädchen, vielleicht zwei Jahre älter als ich, und ein Junge in Andys Alter. Der Junge sieht ein bisschen aus wie ein Popper; er ist burgunderrot und grau angezogen und hat sein feines Haar glatt nach hinten gekämmt. Das Mädchen trägt dickes schwarzes Augen-Make-up und hat strohblondes, zurückgekämmtes Haar. Beide halten eine Dose Coke in der Hand und sehen ziemlich gelangweilt aus. Ich geniere mich wegen meiner uncoolen Kleidung und denke an den Zehner für den Schlussverkauf.
»Mary!«, kreischt Sandy, als wir sie im Wohnzimmer finden. Sie umklammert eine Schale Erdnüsse. »Und deine hinreißenden Jungs! Kommt her, ihr kleinen Herzensbrecher! Einen Kuss!«
Sandy – Tante Sandy, wie sie sich gern von uns nennen lässt – drückt mir einen dicken, feuchten Kuss auf die Wange. Sie riecht nach Puder und Parfüm und Gin.
»Sieh dich an! Ich hab dich bestimmt seit einem Jahr nicht mehr gesehen! Wie alt bist du jetzt?«
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