Am Ende eines Sommers - Roman
Sie redet davon, wie erwachsen ich aussehe, aber sie sitzt vor mir in der Hocke und plappert auf mich ein, als wäre ich ein Baby.
»Dreizehn.« Ich lächle höflich, und mein Gesicht glüht.
»Dreizehn! Ich hätte gesagt, fünfzehn, aber locker!« Das sagt sie mit einem ernsthaften Gesicht, das ich ihr nicht abnehme, und dann kommt die gleiche Nummer mit Andy.
Andy und ich stehen da wie Ölgötzen, bis sie uns genug traktiert hat. Außer den beiden auf der Treppe scheinen keine Kinder da zu sein, und allmählich bereue ich, dass ich mitgekommen bin.
»Mary, Schätzchen – es ist zu lange her, Süße!« Sandy umarmt Mum noch einmal, und deren Tasche klirrt, als sie Sandys Umarmung unbeholfen erwidert. »Wisst ihr, wie lange ich eure Mum schon kenne?«, fragt sie.
Wir schütteln den Kopf.
»Wie lange – sechzehn Jahre, Mary?« Sie sieht Mum an.
»Eher siebzehn. Wir sind kurz vor Matthews Geburt hierher gezogen.«
»Er ist doch nicht schon siebzehn!«, kreischt Sandy. »Und wo ist die schöne Bestie?«
»Wer, Matthew?« Mum ist plötzlich blass.
»Er ist auf Reisen«, sage ich.
Sandy sieht mich mit breitem Lächeln an.
»In Deutschland, glaub ich. Und dann weiter durch Europa«, füge ich hinzu, damit es echter klingt. »Glaub ich.«
»Na, wer hätte das gedacht?« Sandy sieht so stolz aus, als wäre es ihr eigener Sohn, der da die Welt entdeckt. Mum legt mir den Arm um die Schultern, und die Farbe kehrt in ihre Wangen zurück. Unwillkürlich starre ich Sandy an, als sie uns in die Küche winkt. Sie ist ganz nett, aber ein bisschen heftig. Und ihre Kleidung ist wirklich flittchenhaft für ihr Alter. Ich meine, sie muss mindestens vierzig sein. Sie trägt einen kurzen schwarzen Lederrock, eine rabenschwarze Strumpfhose und Stilettos, dazu ein violettes Top mit langen Flatterärmeln. Ihre Dauerwelle ist total kraus, und sie raucht wie ein Schlot. Ich erinnere mich, dass sie manchmal den Babysitter für uns gemacht hat, als wir klein waren, und sie ist immer vom Sonnenbaden aus dem Garten hereingekommen und hat mit uns gespielt, wenn wir sie darum gebeten haben. Einmal wollte ich ein Lego-Haus bauen, und ein Fenster blieb einfach nicht drin. Es hat ewig gedauert, aber Sandy hat alle oberen Lagen abgebaut, das Fenster richtig eingesetzt und dann alles wieder aufgebaut. Als sie fertig war, setzte sie sich mit einer Zigarette vor den Fernseher, und ich bekam einen Doppelkeks und ein Glas Milch.
»Na, kommt, Jungs«, sagt sie, als sie den Geflügelsalat in die Küche gestellt und mit der Punschkelle ein Glas für Mum gefüllt hat. »Ich bringe euch nach oben, damit ihr die andern kennenlernen könnt.«
Die Kids von vorhin sind weg, als wir mit Sandy die Treppe hinaufgehen. Ihr Rock ist viel zu kurz, und ich kann zwischen ihre Beine gucken. Das will ich gar nicht, aber ich kann nicht anders, und ich frage mich, ob sie unter ihrer durchsichtigen schwarzen Strumpfhose einen Slip anhat. Ihre Waden sind dick und muskulös, aber sie hat dünne, knochige Knöchel. Mum winkt vom Fuß der Treppe zu uns herauf, und dann dreht sie sich um und stürzt sich ins Gewühl.
Sandy lächelt mir über die Schulter hinweg zu und ruft dann durch den Gang: »Shona! Ich bin’s, Schatz! Ich hab hier noch zwei!«
Das Mädchen mit den schwarzen Augen öffnet eine der Türen und sieht uns eisig an. Shona.
»Shona ist meine Nichte. Shona, das ist Jake, und das ist Andy. Kümmerst du dich um sie? Zeig ihnen, wo alles ist! Und du weißt, wo wir sind, wenn du uns brauchst, nicht wahr, mein Schatz?« Sie streichelt mir kurz den Nacken, und dann lässt sie uns stehen, Auge in Auge mit dem furchterregenden Mädchen.
Mit einer Kopfbewegung fordert Shona uns auf, ihr zu folgen, und zeigt uns das obere Stockwerk. Sandys und Petes Kinder wohnen nicht mehr zu Hause, und für die beiden allein ist es ein richtig großes Haus.
Shona deutet mit dem Daumen auf eine geschlossene Tür. »Das ist der Lokus.« Sie geht weiter. Wieder der Daumen und ein strenges Gesicht. »Sandys und Petes Schlafzimmer. Betreten verboten.«
Der Korridor führt um die Ecke, und wir sehen noch eine Reihe Türen. Sie zeigt mit dem Daumen auf die erste. »Musikzimmer. Da sind wir. Dann ist da das Fernsehzimmer. Bad. Knutschzimmer.« Dabei dreht sie sich um und will sehen, wie ich reagiere. »Wisst ihr, was das Knutschzimmer ist?« Jetzt stemmt sie die Hände in die Hüften. Ich finde, sie sollte eine Rolle in Grange Hill kriegen, so sarkastisch und aufgeblasen, wie sie
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