Am Ende eines Sommers - Roman
Regale auffüllen, damit er zu Mrs Horrocks hinaufgehen und ihr den Tee bringen kann. Sie haben einen kleinen Yorkshire-Terrier namens Griffin, und sie bezahlen mich dafür, dass ich ihn jeden Tag nach der Schule ausführe. Wenn er mich durch den Hintereingang in den Laden kommen hört, springt er an mir hoch, leckt zwischen meinen Fingern herum und will, dass ich ihm die Ohren kraule. Er hat eine ganz glatte, breite kleine Zunge, nicht so eine große, sabbrige wie die großen Hunde. Wenn er sich richtig aufregt, kaut er mit seinen Zähnchen auf meinem Handgelenk herum, tut mir nie weh, sondern weiß immer, wann er aufhören muss. Ihn auszuführen ist ein Kinderspiel, und ich kann kaum fassen, dass ich dafür tatsächlich Geld kriege.
Vor Kurzem hat Mr Horrocks gefragt, ob ich einen ganzen Sonntag Zeit hätte, um ihm bei der Inventur zu helfen, und er würde mir das Anderthalbfache bezahlen. Ich habe sofort Ja gesagt; ich spare nämlich jetzt für eine Midi-Anlage. Das wird zwar ewig dauern, aber ich will meinen eigenen Plattenspieler und LP s haben wie George auf der Isle of Wight. Also bin ich morgens um sieben in Schmuddelsachen da, wie er es gesagt hat, und nach einer Tasse Tee und einem großen Stück Kuchen machen wir uns an die Arbeit. Er hat zahllose Blätter mit Artikellisten, und wir müssen zählen, was wir in den Regalen haben, was im Lager liegt und was wir bestellt haben, und dann müssen die Zahlen in die entsprechenden Spalten eingetragen werden. Das ist ziemlich einfach, aber man muss sich konzentrieren, damit man es richtig macht, und deshalb reden wir nicht viel. Die Jalousien im Schaufenster sind heruntergelassen, damit niemand denkt, wir hätten geöffnet. Sonnenstrahlen dringen wie Spieße an den Rändern herein und durchschneiden die trägen Staubwolken, die wir mit unserer Arbeit machen.
Griffin liegt in einer kleinen Pfütze aus Sonnenlicht mitten im Laden. Ab und zu steht er auf, schnuppert an meinen Füßen und will gestreichelt werden. Dann geht er zurück zu seinem Sonnenfleckchen, wirbelt dabei wieder den Staub auf, der sich gerade gelegt hat, und rollt sich zusammen wie ein kleiner Mopp im Scheinwerferlicht einer Bühne. Es ist ruhig wie in einer alten Bibliothek oder einer Buchhandlung, und es riecht nach schwerem Papier und Holz und Bleistiften und abblätterndem Lack. Mr Horrocks räuspert sich ab und zu oder kratzt sich mit dem Bleistift im Bart, und man hört jede Bewegung: das Scharren der Schuhe auf dem Zementboden, das Klirren der Gurkengläser, wenn man sie ins Regal zurückstellt, das Rascheln knisternder Päckchen, die aus den Kartons genommen, gezählt und wieder zurückgelegt werden. Um zehn sagt Mr Horrocks, es ist Zeit für eine Pause, und wir gehen nach hinten und setzen den Kessel auf. Er greift nach oben in eins der Lagerregale und nimmt eine Packung »Mr. Kipling Fondant Fancies« herunter.
»Denk daran, in die Inventarliste nachher eine weniger einzutragen«, sagt er. Als ich ein Stück gegessen habe, fordert er mich auf, noch eins zu nehmen. »Du bist ein fleißiger Arbeiter. Da muss auch Benzin in den Tank.«
Ich beiße die feste obere Schicht von dem Biskuit ab und lecke die künstliche Creme mit der Zunge heraus. Die gibt’s bei uns zu Hause nie. Der Biskuit ist leicht und luftig, und die süße Glasur klebt an meinen Plomben.
»Und wie geht’s deiner Mum in letzter Zeit, Jake?«, fragt er und schenkt sich noch eine Tasse Tee ein.
»Ganz okay.« Ich frage mich, was er über sie weiß.
»Ich hab gehört, seit Weihnachten ist sie nicht ganz auf dem Damm«, sagt er, und ich höre auf zu essen, weil mein Magen sich zusammenzieht.
»Ach, das war nichts«, sage ich und konzentriere mich darauf, die Zunge tiefer in den Biskuit zu bohren. »Sie hat nur ein bisschen gekränkelt. Geht aber schon besser.«
Ich spüre Mr Horrocks vor mir, wie er an der großen Gefriertruhe lehnt und seinen Tee trinkt.
»Du bist mir eine große Hilfe, Jake. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich zurechtkäme.«
Ich lächle verlegen und schaue weg.
Er redet weiter. »Mrs Horrocks, tja, der geht es schon lange nicht gut. Sie ist durcheinander, weißt du. An manchen Tagen ist sie wie die junge Marcie, die ich vor vierzig Jahren geheiratet habe, voller Leben und Energie. Und am nächsten Tag ist sie eine verwirrte alte Frau, die ich gar nicht wiedererkenne.«
Er sieht müde aus. Mir ist unbehaglich, und eigentlich möchte ich nicht, dass er weiterredet. Lieber würde ich mit der
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