Am Ende eines Sommers - Roman
Inventur weitermachen.
»Es ist schwer, für so jemanden zu sorgen. Aber man tut es, weil man sie liebt, oder?«
Ich nicke und schiebe den Rest von meinem »Fondant Fancy« in den Mund. Oben läutet eine kleine Glocke, und Mr Horrocks springt auf.
»Das ist Marcie. Ich muss nach ihr sehen. Los, Jake, zurück an die Arbeit.«
Ich wische mir die Krümel vom Pullover und nehme mein Clipboard, und ich bleibe stehen, als ich oben an der Treppe seine Stimme höre.
» Hallo, mein Schatz «, sagt er. » Soll ich dir die Kissen zurechtschieben? Da, sieh doch – Sons and Daughters fängt an. Das siehst du doch so gern! «
Behutsam schiebe ich mich durch den Perlenvorhang in den Laden. So zu lauschen kommt mir hinterhältig vor. Ich frage mich, ob Mrs Horrocks im Bett liegt oder ob sie auf ist. Ich muss an die Tasse Tee denken, die ich Mum ans Bett gestellt habe, bevor ich aus dem Haus gegangen bin. Hat sie die getrunken, oder ist sie kalt geworden? Ob Mum schon aufgestanden ist?
Wir arbeiten den ganzen Tag und unterbrechen nur für ein Sandwich oder gehen mal pinkeln. Kurz vor fünf sagt Mr Horrocks, wir sind fertig, und er geht zur Ladenkasse, nimmt einen Notizblock und rechnet meinen Lohn aus. Er stopft das Geld in einen kleinen braunen Umschlag und schreibt die Summe vorne drauf. Als ich gehen will, nimmt er noch eine Packung »Fondant Fancies« herunter und gibt sie mir zusammen mit dem Umschlag.
»Für deine Mum. Sag ihr, du hättest heute gut gearbeitet, Jake.« Er legt mir die Hand auf die Schulter, wie er es immer tut, wenn er mir etwas aufträgt. »Wir sehen uns morgen früh, wenn du die Zeitungen abholst?«
»Danke, Mr Horrocks«, sage ich, und er verriegelt die Tür, als ich draußen bin.
Im Weggehen werfe ich einen Blick über die Schulter und sehe eine Bewegung am Fenster über dem Laden. Da lehnt eine alte Frau. Sie hat die Gardine zur Seite gezogen. Sie sieht schwerfällig und traurig aus. Aber dann lächelt sie mir zu, hebt die Hand und winkt kurz.
Ich lächle und winke zurück und muss plötzlich die Tränen herunterschlucken. Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist.
Als ich nach Hause komme, ist Sandy da und schrubbt den Backofen aus.
»Oh«, sage ich, als sie aufblickt. Sie macht ein verlegenes Gesicht. »Oh, hallo, mein Schatz!« Sie trägt eine verrückte Spitzenschürze über ihrer samtenen Jogginghose. Anscheinend hat sie die mitgebracht, denn Mum gehört sie nicht. Sie drückt mir einen Schmatzer auf die Wange und umarmt mich ein bisschen steif.
»Hallo, Tante Sandy«, sage ich. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal hier war. Es muss Jahre her sein.
»Bin nur mal vorbeigekommen, um nach deiner Mum zu schauen. Ich hab sie seit ein paar Wochen nicht gesehen. Na ja, anscheinend geht’s ihr nicht so gut, und da dachte ich, ich mache hier mal ein bisschen sauber.« Sie zwirbelt das Wischtuch in ihren Händen zusammen. »Alles in Ordnung, Schatz?« Ich nicke und schaue zur Seite, denn sie hat diesen besorgten Blick drauf, der mir wirklich auf die Nerven geht. Aber in der Küche hat sie gute Arbeit gemacht. Zum ersten Mal seit Jahren blinken die Wasserhähne.
Ich lege die »Fondant Fancies« auf die Arbeitsplatte. »Ist sie schon auf?«, frage ich und mache den Kühlschrank auf, um zu sehen, was da ist.
»Nein, Schatz. Ich hab ein paar Kleinigkeiten mitgebracht, Jakey. Da ist Milch und Brot, und ich dachte, vielleicht mögt ihr eine Shepherd’s Pie, du und Andy. Sie ist da drüben unter der Alufolie. Soll ich sie jetzt in den Ofen stellen, Schatz?«
Ich nicke und mache mich auf die Suche nach Mum. Im Haus ist es still; anscheinend ist Andy mit einem Kumpel unterwegs. Ich gehe die Treppe hinauf, so leise ich kann, als wäre sie ein schlafendes Baby, das man nicht wecken soll.
Aus ihrem Zimmer fließt die Dunkelheit in den Gang. Als ich in der Tür stehen bleibe, sehe ich sie da, wo sie seit zwei Wochen ist. Zusammengerollt und mit abgewandtem Gesicht liegt sie da, und ihr schönes, glänzendes Haar breitet sich jetzt verfilzt und stumpf auf dem Kopfkissen aus. Sandy hat ihr ein Glas Wasser auf den Nachttisch gestellt und ein Women’s-Weekly -Heft danebengelegt. Die Luft im Zimmer ist abgestanden und riecht wie Biskuit. Ich gehe zum Fenster und öffne die obere Scheibe. Es bleibt jetzt abends wieder länger hell, und die Sonne ist eben erst gegenüber hinter den Häusern verschwunden. Die kühle Luft streicht durch das offene Fenster herein über mein
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