Am Ende eines Sommers - Roman
und Andy je zwei Pfund zu und drückt uns einen Kuss auf den Scheitel. Ich nehme so viel von unserem Gepäck, wie ich kann, und schleppe es zur Fähre. Tante Rachel winkt uns nach.
»Was ist mit Mum?«, fragt Andy und sieht sich nach ihr um; sie geht ein Stück hinter uns, mit verschränkten Armen und sorgenvoll gerunzelter Stirn.
»Nichts, Mann. Alles prima. Geh ihr nur nicht auf die Nerven, wenn wir auf der Fähre sind, okay? Sie ist müde.«
Andy nickt und wirft noch einmal einen Blick zurück zu Mum. Sie merkt anscheinend gar nicht, dass wir da sind. Sie schaut an uns vorbei, und es sieht aus, als ob sie am klaren Horizont etwas suchte, das wir nicht richtig sehen können. Am Passagieraufgang gebe ich dem Mann unsere Tickets, und wir besteigen die Fähre nach Hause.
Gerade als wir in unsere Straße einbiegen wollen, sagt Mum dem Taxifahrer, sie will vorher noch am Royal Oak vorbeifahren.
»Was hast du vor?«, frage ich sie beunruhigt. Wir halten auf dem Parkplatz neben dem Pub, und Mum steigt aus.
»Sie können wenden und hier warten«, sagt sie zu dem Fahrer, »und ihr Jungs bleibt sitzen.«
Das Taxi dreht auf dem Parkplatz und hält vor dem Pub, und ich sehe, wie Mum hineingeht. Ich springe hinaus und sage Andy, er soll auf den Hund aufpassen. Im Pub ist es dunkel, und die Sonne, die draußen scheint, flutet über Mum hinweg. Sie steht in der Tür und hat die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Schatten reicht quer über den staubigen Boden bis zum Tresen. Es ist halb drei, und die meisten der sonntäglichen Lunchgäste sind schon wieder zu Hause. Da sind nur noch Dad, Gypsy und Stu und ein paar alte Männer am anderen Ende der Theke. Dad lehnt mit dem Rücken zu uns am Tresen und plaudert mit der Wirtin, und Stu und Gypsy sitzen in den Sesseln vor dem Erkerfenster. Als Stu Mum sieht, lächelt er verlegen. Gypsy sieht einen Moment lang erschrocken aus und lässt dann ihre weißen Zähne aufblitzen.
»Mary!«, ruft sie. »Du bist zurück! Komm und setz dich zu uns – Billy holt gerade die letzte Runde. Billy!«
Dad dreht sich um und ist sichtlich erschüttert, als er uns sieht.
»Scheiße«, sagt er, »hast du mich angerufen, damit ich euch abhole? Scheiße. Ich hab komplett vergessen, dass ihr heute zurückkommt.« Er stellt zwei Pints und ein Glas Weißwein auf den Tisch und setzt sich neben Stu.
»Nicht entgiften?«, fragt Mum und sieht Gypsy an. »Und nichts mit Greenham Common?« Sie steht starr da und ist weiß im Gesicht.
Gypsy lächelt spöttisch. »Ich hatte ein besseres Angebot.« Sie dreht sich zu Stu um und sieht ihn an wie eine Tigerin, die ihr Junges bewacht. Stu.
Mum schaut Dad an, und der zuckt die Achseln. »Frag mich nicht«, sagt er.
»Was macht sie dann in deiner Wohnung?« Ich halte die Spannung nicht mehr aus. Alle sehen mich an, als hätten sie jetzt erst gemerkt, dass ich hier bin.
»Das solltest du deinen großen Bruder fragen, Jakey.« Gypsy lächelt mich an. Sie ist besoffen. Aufmüpfig sieht sie aus, ihre Lider hängen herunter, und an ihrem Hemd ist ein Knopf zu viel offen. Tatsächlich sieht es aus wie ein Männerhemd.
»Matt?« Mein Magen krampft sich zusammen. »Soll das heißen, Matt ist zurückgekommen?«
Mums Finger tasten nach meinen. Ich weiß nicht, ob sie Halt sucht, um stehen zu bleiben, oder ob sie nur ihre Hände irgendwie beschäftigen muss.
Gypsy schnaubt, und ihre freundliche Maske verrutscht. »O ja, er ist allerdings zurückgekommen. Stinkbesoffen ist er mitten in der Nacht in mein Bett geklettert.« Sie sieht Mum in die Augen. »Dieses geile kleine Tier.«
Mum will sich auf Gypsy stürzen, und Dad springt auf, um sie festzuhalten.
»Billy?« Mums Stimme bricht. Er legt den Arm um sie, und sie findet ihr Gleichgewicht wieder.
Dad sieht Gypsy wütend an. »So war es nicht, Gypsy, und das weißt du auch. Er ist frühmorgens zurückgekommen, ohne jemandem etwas zu sagen. Ihr hattet am Abend vorher die Fähre genommen. Er hatte einen sitzen, ja. Offenbar ist er ins Bett gegangen, in sein Bett – und da war Gypsy drin. Tu nicht so, als wäre er so was wie ein Perverser, Gypsy. Das ist absolut daneben, und das weißt du auch.«
Gypsy nimmt einen Schluck aus ihrem Glas und sieht ihn wimpernklappernd an. »Entschuldigung, Billy. Du hast recht.«
»Jedenfalls, Schatz – am nächsten Tag kam Gypsy hierher, weil sie für ein oder zwei Tage eine Bleibe brauchte.«
»Und da habe ich diesen fröhlichen Kerl kennengelernt«, gurrt Gypsy, schmiegt ihre
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