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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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hat Daddy sich mit dem Datum vertan, vielleicht wird er am nächsten Freitag am Bahnhof Brighton auf mich warten, und ich werde nicht kommen. Sein Enkelkind dreht sich in meinem Bauch, und ich halte mich am Geländer fest und schaue auf das Meer hinaus. Die Wellen werden wuchtiger, und ich kann die Schwerelosigkeit des Ozeans ahnen. Ich lehne mich vor und sehe das Mädchen dort unten. Wachsweiß und leblos treibt sie im Salzwasser, und das Haar verhüllt ihr Gesicht wie eine Totenmaske. Ihr blaues Kleid kräuselt sich auf dem Wasser, und im Mondlicht schimmert das rote Band, das an ihren starren Fingern hängt. So hebt und senkt sie sich unten im Wasser, tief, tief unten, unter dem Pier.
    »Mummy.« Eine Stimme zieht an mir. »Mummy.«
    »Der Zug«, sage ich. »Wir kommen zu spät zum Zug.« Und stolpernd rennen wir in Richtung Queen’s Road. Mit jedem schweren Schritt spannen sich die Muskelstränge um meinen schwangeren Bauch.
    Wir stehen in der weiten viktorianischen Bahnhofshalle, und ich lasse den Blick über das Gewimmel auf den Bahnsteigen wandern und suche sein vertrautes Gesicht. Die Bahnhofsuhr zeigt sieben Uhr, und ich weiß, Daddy kommt nicht.

 
    Jake,
    April 1985
    Am nächsten Nachmittag gegen zwei kommen Mum und Gypsy zur Tür hereingepoltert, atemlos und lachend. Man könnte fast meinen, sie wären überrascht, uns hier zu sehen. Ihre Haare sind zerzaust, und eine Staubschicht liegt auf ihren Kleidern. Sie sehen sehr zufrieden aus, glücklich und rosenwangig, als hätten sie ein fabelhaftes Abenteuer erlebt. Mum kommt und will mir einen Kuss geben, aber ich weiche zurück.
    »Die Fähre geht in einer Stunde«, sage ich und deute mit dem Kopf auf Andy. Er hockt da und hat die Knie hochgezogen, um sein Gesicht zu verstecken, weil es rot vom Weinen ist. »Ich hab meine und Andys Taschen gepackt, aber ich weiß nicht, ob wir es noch schaffen, wie lange du brauchst, bis du fertig bist.«
    Mum wirft einen Blick hinüber zu Gypsy, die in der Küche das Wasser aufsetzt und alles mitanhört.
    »Jakey, entschuldige, Schatz. Wir hatten Probleme mit der Rückfahrt, das ist alles. Mach dir keine Sorgen wegen der Fähre. Ich packe gleich, und wir können auch später fahren. Die Fähre geht alle halbe Stunde, und als ich die Tickets gekauft habe, haben sie mir gesagt, man kann leicht umbuchen.«
    Andy sieht mich hoffnungsvoll an, Mum sieht mich sanft an. Und Gypsy, die sieht mich an wie ein verfluchter Kuckuck, der einfach nicht aus unserem Nest verschwinden will.
    »Ich gehe sofort packen. Siehst du?« Mum geht zur Tür. »Ich bin schon auf der Treppe«, ruft sie. »Ich bin im Schlafzimmer.« Ihre Stimme ist noch weiter weg. »Ich mache meine Reisetasche auf …«
    »Schon gut, ich hab’s kapiert«, schreie ich und sehe, wie Andy still an seinen Knien grinst.
    »Tee, Jungs?« Gypsy reicht uns beiden eine Tasse und lässt ihre blöden weißen Zähne aufstrahlen. Ihre harten Nippel drücken sich durch ihr dünnes weißes T-Shirt. Dreist, denke ich. Das ist ein gutes Wort.
    »Hast du eigentlich auch Kinder, Gypsy?«, frage ich höflich und kühl.
    Ihr Lächeln plumpst wie ein Stein aus ihrem Gesicht. »Nein, Jakey. Ich bin wohl nicht der Mummy-Typ.«
    Hinternwackelnd geht sie wieder in die Küche, lehnt sich an die Spüle, wo sie mich sehen kann, und schlägt ein Bein über das andere. Ich weiß nicht genau, was ich in ihren Augen sehe, als sie mich über den Rand ihres Bechers anschaut. Aber was immer es sein mag, ich glaube, es ist nicht freundlich.
    »Ich verschwinde in den nächsten Tagen«, sagt Gypsy zu Mum und wirft mir einen Blick zu, als die beiden sich zum Abschied umarmen. »Hab zu tun. Die Sache braucht jede Unterstützung.« Sie tippt mit dem Finger an das Abzeichen der Abrüstungskampagne an ihrem T-Shirt.
    »Bleib, solange du willst. Wenn du gehst, wirf den Schlüssel einfach durch den Briefschlitz. Und lass von dir hören! Versprichst du das? Es war so schön, dich wiederzusehen – wirklich, Gypsy.«
    Dad kommt und hilft uns, das Gepäck in den Kofferraum seines Wagens zu laden, und als wir wegfahren, steht Gypsy in unserer Haustür und winkt uns nach.
    »Sie sieht gut aus«, sagt Dad, als wir um die Ecke biegen.
    Mum nickt und schaut nach vorn auf die Straße. »Es war schön, sie dazuhaben. Ein frischer Wind.«
    Ich drehe mich zu Andy um und verdrehe die Augen, aber er ist damit beschäftigt, sich eine Kruste vom Knie zu popeln, und merkt es nicht. Griffin sieht mich mit großen braunen Augen

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