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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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die Teekanne an. Ich sehe, dass seine Schultern beben. Ich darf ihn nicht anschauen. Dad fängt an, mit den Fingern auf die Unterseite der Tischplatte zu trommeln.
    »Na, du kannst ja mal in den Schrank unter der Treppe schauen. Vielleicht ist da eine Schachtel mit alten Fotos.« Gran fängt an, den Tisch abzuräumen. Sie schüttelt den Kopf. »Obwohl mir nicht klar ist, was dich daran interessiert.«
    Dad wühlt eine Weile in dem Schrank unter der Treppe herum und zieht schließlich einen kleinen, verstaubten Lederkoffer mit rostigen Scharnieren heraus. »Das ist er«, sagte er hörbar erfreut. »Ich erinnere mich.«
    Er fängt an, Bilder auf den Wohnzimmertisch zu stapeln, und Gran setzt sich in ihren Lehnstuhl in der Ecke und zieht schon wieder die Strickjacke fester um sich. Ab und zu räuspert sie sich und drückt das Kinn gereizt an die Brust. Wir sehen uns trotzdem weiter die Bilder an.
    »Sieh mal hier, Andy – da war ich so alt wie du. Verflixt, Junge. Du siehst aus wie ich, Sohnemann!«
    Andy schaut das Bild an und lacht. »Guck mal deine Shorts an, Dad. Musstest du die im Sommer tragen?«
    »Die musste ich das ganze Jahr über tragen, Sohnemann. Ich hatte nur die.«
    »Sei nicht albern«, sagt Gran. »Du redest, als wären wir Armenhäusler gewesen.«
    »Na ja, Fürsten waren wir nicht gerade, Mum.« Dad sieht sie lächelnd an.
    »Hmph«, schnaubt Gran und schaut zur Wand.
    Andy reicht mir das Foto, und ich sehe, wie ähnlich er Dad ist. Ich muss an den Tag denken, als Mum gesagt hat, was sie gesagt hat – dass Dad nicht mein Dad ist. Ich starre das Foto an, diesen Jungen mit dem dunklen Haar und den dunklen Augen, den langen, dünnen Armen und Beinen, dem breiten, strahlenden Lächeln. Er sieht aus wie Andy jetzt, schlaksig und grinsend.
    »Wie würdest du meine Haarfarbe nennen?«, frage ich Dad.
    »Mausbraun«, sagt Gran.
    »Na ja, als Baby warst du weißblond«, sagt Dad. »Und im Sommer wirst du immer noch blond, oder?«
    »Matt sah auch aus wie du, oder?« Ich schwenke das Foto.
    »Wie geht’s meinem Matthew?«, fragt Gran, und zum ersten Mal wird ihr Gesicht ganz mild.
    »Gut, Mum.« Dad runzelt die Stirn und wühlt in den Bildern. »Komisch, nicht? Manchmal überspringt so was eine Generation, stimmt’s?« Er gräbt weiter in dem Koffer und zieht einen braunen Umschlag heraus, auf dem mit Kugelschreiber die Worte »Familie Andrews« stehen. »Da haben wir’s.«
    Die Fotos in diesem Umschlag sind älter. Dad gibt mir das Foto eines jungen Mannes in Anzug und Filzhut. Er hat einen Fuß auf die Bank vor dem Pub gestellt, und seine Hand ruht auf dem Oberschenkel. Auf seinem Gesicht liegt ein freches Grinsen. Er sieht aus wie der Artful Dodger in Oliver Twist .
    »Das ist er. Das ist euer Granddad. Wann wurde das aufgenommen, Mum?«
    Gran beugt sich in ihrem Sessel vor. »Nicht lange nach unserer Hochzeit. Das ist vor dem Spotted Cow, gleich hinter der Ship Street.«
    Dad blättert weiter in den Fotos, zieht eine Gruppenaufnahme heraus und legt sie vor mir auf den Tisch.
    »So. Das ist er vor seiner Schule. Mal sehen, ob du ihn findest.«
    Das Bild ist bräunlich und verblichen. Zwölf oder dreizehn Kinder stehen da und dahinter zwei ernst blickende Lehrerinnen in altmodischen Kleidern und mit hochgesteckten Haaren. Ich erkenne den Garten wieder; Dad hat uns die Schule ja gezeigt. Den blühenden Baum gibt es noch.
    »Die Schule war gerade eröffnet worden«, sagt Gran. »Darum wurde das Foto gemacht. Eigentlich machte man damals keine Schulfotos.«
    Ich betrachte die Reihen der Gesichter, die mir aus dem unscharfen Foto entgegenblicken, und plötzlich ist er da, da bin ich, ich schaue aus diesem Geisterfoto heraus und mir selbst ins Gesicht. Mein Finger stößt mit einem leisen Bums auf das Bild.
    »Da! Das muss er sein!«, rufe ich und kann es nicht glauben. Er sieht mir so ähnlich, dass es nicht wahr sein kann.
    »Nimm deine schmutzigen Finger da weg!«, schreit Gran. »Du ruinierst es ja! Bringst du ihnen nicht bei, ordentlich mit den Sachen umzugehen, Bill?«
    »Ist schon gut, Mum«, sagt Dad geduldig. »Lass mal sehen, Jake.« Er nimmt das Foto und betrachtet es konzentriert. »Ja, das ist er. Verdammt noch mal, er sieht aus wie du, was? Mum, hast du das gesehen? Jake ist Dad wie aus dem Gesicht geschnitten. Wie aus dem Gesicht geschnitten!«
    Ich kann nicht aufhören zu grinsen, und mein Knie unter dem Tisch wippt pausenlos. Am liebsten würde ich im Kreis herumrennen, Dad umarmen, Gran die

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