Am Ende ist da nur Freude
dem Sterbebett als eine bevorstehende Reise. Der melancholische Fabrizio, der sich von seiner Frau, seiner Familie und dem sich verändernden politischen Klima seines Landes entfremdet hat, wird nun von einer rätselhaften, wunderschönen Besucherin getröstet, die den Todesengel symbolisiert. Der Autor beschreibt das Ende von Fabrizios Leben als das Warten auf einen Zug:
Plötzlich schob sich durch die Gruppe eine junge Frau; schlank, in einem braunen Reisekleid mit weiter tournure , in einem Strohhut, geschmückt mit einem Schleier mit kleinen Kügelchen, der die schelmische Anmut des Gesichts nicht verhüllen konnte. Sie drückte leise mit dem Händchen im Gamslederhandschuh die Ellbogen zweier Weinender auseinander, sie entschuldigte sich, sie kam näher. Sie war es, sie, das immer ersehnte Wesen, das ihn holen kam; wunderbar, so jung war sie, und hatte sich ihm ergeben; die Stunde der Abfahrt mußte nahe sein.
Während die Medien in diversen Auslassungen immer wieder betonen, dass der westliche Mensch in einem »postreligiösen Zeitalter« lebt und sich mit dem Tod nur noch als technischem Kampf ums Weiterleben auseinandersetzt, wird doch zugleich auch deutlich, dass nicht unsere gesamte Literatur diese Haltung widerspiegelt. Heute befassen sich die Verlage mit unserem sehnlichen Verlangen, die letzten Momente des Lebens zu verstehen und zu erfahren, was uns danach erwartet – oder auch nicht. Zwar meiden manche Romanautoren alles, was auch nur den Hauch des Fantastischen hat, doch nicht alle sind so zurückhaltend. Manche setzen gerade auf unsere Faszination für die Unsterblichkeit und sichern uns damit zu, dass es ein Leben nach dem Tod tatsächlich gibt oder dass das Leben für manche nicht unbedingt enden muss. Dazu gehören zum Beispiel die extrem beliebten Twilight -Bestseller von Stephenie Meyer ebenso wie die Vampir-Bücher ihrer Vorgängerin Anne Rice.
Manche zeitgenössische Romanautorinnen und -autoren haben sich durchaus nicht von den Visionen auf dem Sterbebett à la Dickens oder Stowe verabschiedet. Zum Beispiel Isabel Allende. In ihrem 1982 veröffentlichten Roman Das Geisterhaus 14 stellt sich die Autorin vor, dass die Großmutter der Protagonistin kommt und ihrem Großvater in seinen letzten Tagen Gesellschaft leistet:
… in den letzten Tagen wich sie keinen Augenblick von seiner Seite, sie folgte ihm durchs Haus, sie sah ihm über die Schulter, wenn er in der Bibliothek las, und legte sich nachts mit ihm schlafen, ihren schönen, von Locken gekrönten Kopf an seiner Schulter. Anfangs war sie ein geheimnisvoller Schein, aber in dem Maße, in welchem mein Großvater für immer die Wut verlor, die ihn sein Leben lang gequält hatte, erschien sie so, wie sie in ihren besten Zeiten gewesen war, lachend mit allen ihren Zähnen und die Geister aufscheuchend mit ihrem raschen Flug.
Visionen auf dem Sterbebett in Filmen
Auch Filme leisten ihren Beitrag zur Reflexion des Phänomens der Visionen auf dem Sterbebett. Der Tod ist zentrales Thema in vielen Leinwand-Geschichten, ja, Visionen und Geister von Verstorbenen, die ihre Lieben besuchen, sind etwas ganz Normales. Denken Sie einmal einen Augenblick nach, und ich wette, Ihnen fallen mehrere Filme ein, in denen Visionen auf dem Sterbebett oder Geister vorkommen, die die Räume der Lebenden bevölkern oder in denen vom »Heimgehen« gesprochen wird.
In Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan (Saving Private Ryan) wurde dem Publikum der verheerende Preis des Krieges auf eine bisher nicht da gewesene Art und Weise gezeigt. In einer Schlüsselszene wird Irwin Wade
(Giovanni Ribisi), der einzige Sanitäter der Kompanie, bei einem unvorhergesehenen Gefecht tödlich verwundet. Als er im Sterben liegt und seine Kameraden versuchen, die Blutung zu stillen, sind seine letzten Worte der Ruf nach seiner Mutter und die Versicherung, dass er nach Hause kommt.
Wie ich bereits erwähnt habe, gehört der Besuch der eigenen Mutter zu den häufigsten Visionen auf dem Sterbebett. Auch sprechen die Sterbenden oft von dem Gefühl, nach Hause zu gehen. In keinem Kurs oder Buch übers Drehbuchschreiben wird einem gesagt, man solle in einer Vision auf dem Sterbebett immer die Mutter erscheinen lassen, oder alle sollten am Ende »heimgehen«. Warum also kommt das dann so häufig vor? Denken die Autoren nur über reale Erlebnisse nach, oder rührt das an eine ganz ursprüngliche Saite, die es tief in uns allen gibt?
In Zeit der Zärtlichkeit haben wir gelacht und
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