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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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anwesend war. Das war kein gespenstisches Erlebnis, sondern hatte etwas Heiliges … als ob etwas oder jemand meine Patienten nach Hause geleitet.

Perfektes Timing
    von Peter
     
    Ich habe meinen Bachelor in Psychologie und anschließend den Master in sozialer Arbeit gemacht. Heute arbeite ich als Therapeut. Mein denkwürdigstes Erlebnis mit einer Vision auf dem Sterbebett hatte ich in der Zeit, als mein Vater einen Schlaganfall hatte. Als er aus dem Krankenhaus nach Hause kam, kümmerte sich meine Mutter hingebungsvoll Tag und Nacht um ihn, war dabei aber mit etlichen Problemen konfrontiert.
    Dad hatte eine spezielle Antidekubitusmatratze, die das Wundliegen verhindern sollte, und schlief deshalb im Gästezimmer. Manchmal wachte er allerdings mitten in der Nacht auf, vergaß, wo er war, und versuchte dann, ins Schlafzimmer zu kommen. Dabei war er bereits zwei Mal gestürzt. Beim zweiten Mal hatte Mam einfach weitergeschlafen und war erst aufgewacht, als er auf dem Boden herumkroch. Erschrocken glaubte sie zunächst, ein Fremder sei im Schlafzimmer.
    »Wie konntest du deinen eigenen Mann mit einem Fremden verwechseln?«, fragte ich sie.
    »Es war nicht so, wie wenn dein Vater sich nur die
Zähne geputzt hätte und dann ins Bett gekommen wäre«, erklärte sie. »Er packte mich am Bein, und das war nicht der sanfte Griff eines Ehemanns. Ich weiß nicht, was mir einen größeren Schrecken einjagt, die Vorstellung, dass dein Vater stürzt oder dass ein fremder Mann mitten in der Nacht zu mir ins Bett kriechen will.«
    Meine Brüder und ich beschlossen, einen Pflegedienst zu beauftragen, damit meine Mutter ein wenig Ruhe hätte und ungestört schlafen könnte. Wir dachten, damit wäre für alles gesorgt, und eine Zeitlang war es tatsächlich so.
    Eines Nachts wachte Mam plötzlich auf, nicht wegen Dad, sondern weil sie kaum Luft bekam. Der Notarzt ließ sie ins Krankenhaus bringen, wo ein schwerer Fall von COPD, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, festgestellt wurde.
    Unsere ganze Familie stellte sich auf eine lange Durststrecke mit zwei schwer kranken Eltern ein. Etwa um zwei Uhr in der folgenden Nacht klingelte das Telefon. Es war die Krankenschwester von Mutters Station. Sie sagte mir, Mam habe einen Herzstillstand erlitten und nicht überlebt. Ich rief meine Brüder an, und wir fuhren alle ins Krankenhaus. Wir überlegten, ob wir Dad aufwecken und mitnehmen sollten, aber es war so spät in der Nacht, und wir hatten Angst, dass es zu viel für ihn sein könnte … außerdem war Mam ja bereits nicht mehr da.
    Im Krankenhaus erledigten wir den üblichen Papierkram und waren froh, dass wir unseren Vater nicht geweckt hatten; zugleich wussten wir aber auch, dass wir
ihn nicht einfach am Morgen wecken und so tun konnten, als sei nichts geschehen. Ich sagte meinen Brüdern, ich werde im Haus der Eltern bleiben und es Dad am Morgen sagen. Aber als wir am Haus vorfuhren, sahen wir verwundert, dass alle Lichter an waren und fragten uns, was wohl los war.
    Das klärte sich schnell auf, denn die Pflegehelferin wirkte schon an der Sprechanlage ganz aufgelöst. »Ihr Vater wird verrückt!«, rief sie. »Er ist aufgewacht und schrie, eine Frau versuche, in sein Bett zu steigen. Er sagte, sie habe sein Bein gepackt und reiße an ihm herum. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass keiner da ist, aber er bestand darauf, dass eine komische Frau da sei. Dann hat er mir erzählt, sie sei tot! Ich bin auf die Knie gefallen und habe angefangen zu beten.«
    »War er panisch?«, fragte ich.
    »Nein, er nicht, aber ich«, gab sie zu. »Erst war er überrascht, dass sie da war, und dann war er sauer, dass sie weg war. Er saß kerzengerade im Bett und weinte.«
    »Um wie viel Uhr ist das passiert?«
    »Kurz vor zwei.«
    »Das war genau der Zeitpunkt, als bei meiner Mutter das Herz ausgesetzt hat! Sie haben versucht, sie wiederzubeleben, aber es ist ihnen nicht gelungen.«
    Ich gebe nur ungern zu, dass ich genau so, wie ich meine Mutter verurteilt hatte, weil sie mitten in der Nacht meinen Vater nicht erkannt hatte, nun meinen Vater verurteilte, weil er seine eigene Frau nicht erkannte, die sich
von ihm verabschieden wollte. In meinen Augen gab er ihr den Gnadenstoß, wenn er sie nach so vielen Jahren Ehe am Ende ihres Lebens nicht erkannte. Ich war wütend, dass er sie einfach als x-beliebige Frau angesehen hatte.
    Später merkte ich, dass ich vor allem deshalb wütend war, weil meine Mutter alleine gestorben war. Ich war traurig und

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