Am Ende ist da nur Freude
meinem Workshop zeigte. Es war wirklich bemerkenswert: dieses abgemagerte, winzige Mädchen, das da im Rollstuhl saß und nach oben in die Zimmerecke schaute. Ich habe schon glückliche Kinder gesehen. Ich habe Kinder gesehen, die ihre Großeltern entdecken und strahlen und ihnen winken, aber Julies Gesichtsausdruck war anders. Sie sah aus wie aus einer anderen Welt, wie ein Engel, der den Himmel sieht. Es war erstaunlich.
Diese Begegnung schenkte mir sehr viel Trost und inneren Frieden im Hinblick auf meine Trauer um meinen Mann. Ich hoffe, dass in seinen letzten Augenblicken unmittelbar vor dem Aufprall der Fahrer des Wagens nicht das letzte Gesicht war, das er sah. Ich hoffe, dass das letzte Gesicht, das er auf Erden gesehen hat, das von Jesus war. In jenem kurzen Augenblick war Jason nicht bloß ein Mann, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt und eine junge Frau und ein kleines Kind zu Hause hat, sondern er war ein Mann, der nach Hause in den Himmel geholt wurde.
Von Kolleginnen und Kollegen habe ich viele ähnliche Berichte gehört. Fast ausnahmslos beginnen die Leute ihre Geschichte mit Worten wie: »Ich habe das noch nie jemandem erzählt, und wenn, dann hätten sie mich bestimmt in die Klapse gesteckt, aber ich habe Folgendes erlebt …«
Dies sind echte, tief berührende Momente. Wenn ich
traurig bin, dann denke ich an das strahlende kleine Mädchen und stelle mir meinen Mann mit demselben himmlischen Lächeln vor.
Vom Licht geblendet
von Sue
Ich schloss mein Praktikumsjahr als Sozialarbeiterin ab und nahm dann eine Stelle in einem Hospiz an. Mit Sterbenden wollte ich schon arbeiten, solange ich denken kann. Meine Motivation schöpfe ich aus dem Tod meiner Mutter, die bei einem Verkehrsunfall umkam, als ich zwei Jahre alt war.
Mein ganzes Leben lang wollte ich mehr über diese Frau wissen, die ich nie richtig gekannt habe. Als Teenager stritten sich meine Freundinnen ständig mit ihrer Mutter. Ich hielt dann den Mund, denn ich hätte alles gegeben, wenn ich einmal mit meiner eigenen Mam hätte streiten können. Immer wenn ich meinen Mädels sagte, wie sehr sie mir fehlte, erwiderten die: »Du hast Glück, dass bei dir zu Hause nur einer sauer auf dich sein und dich bestrafen kann.« Trotzdem wusste ich, dass mein Verlust größer war, als ein normaler Teenager begreifen konnte. Auch im Erwachsenenalter legte sich die Neugier auf meine Mutter nicht im Geringsten. Ich fragte alle Verwandten und sämtliche Freundinnen, wie sie sie erlebt hatten, und versuchte mir so ein Bild von der Frau zu
machen, die gestorben war, bevor ich die Chance gehabt hatte, sie kennenzulernen.
Eines Tages beschloss ich, noch etwas tiefer nachzugraben, und las den Autopsiebericht meiner Mutter – das letzte Dokument ihres Lebens. »Stumpfes Trauma« und »innere Blutungen« waren da als »Todesursache« aufgeführt, aber darin konnte ich keinen Sinn erkennen. Als ich der Beamtin sagte, dass ich eigentlich mehr über die Umstände des Todes meiner Mutter erfahren wollte, erwiderte sie, dass sich viele für diese Dinge interessierten. Es sei normal, fügte sie hinzu, und anscheinend ginge es den Leuten besser, wenn sie erführen, was mit ihren Angehörigen tatsächlich geschehen war. In meinem Fall wusste ich nur, dass meine Mutter die Kontrolle über ihren Wagen verloren hatte und offensichtlich durch das Fernlicht eines entgegenkommenden Autos geblendet worden war.
Angesichts meiner persönlichen Geschichte ist es also nicht weiter verwunderlich, dass ich beruflich im Hospiz gelandet bin. Irgendwie fühle ich mich in der Arbeit mit Sterbenden und ihren Familien zu Hause. Ein Patient namens Jarrod ist mir in ganz besonderer Erinnerung.
Jarrod war dem Tod schon sehr nahe, und ich sprach gerade mit seiner Familie, als ich auf einmal den Drang verspürte, in sein Zimmer zu gehen. Ich stand vor dem Fenster und flüsterte sanft seinen Namen.
»Du stehst mir im Licht«, erwiderte Jarrod.
Ich trat rasch zur Seite, da bemerkte ich, dass er gar nicht zum Fenster sah. Ja, er hielt den Blick starr auf die
Wand gerichtet. »Kannst du jetzt besser sehen?«, fragte ich neugierig. »Siehst du das Licht?«
»Ja!«, rief er aus und schaute nach oben rechts. Ich schaute an dieselbe Stelle, weil ich sehen wollte, ob ein Spiegel oder ein glänzender Gegenstand eine Reflexion erzeugte, aber da war nichts – nur eine leere Zimmerecke.
»Sag mir mehr über das Licht«, drängte ich ihn.
»Oh, es ist so schön, so blendend hell,
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