Am Ende ist da nur Freude
»Ich muss meine Koffer packen für meine Reise in den Tod.« In der Vorstellung der Sterbenden findet der Übergang im Leben statt. Auch wenn das Sterben die Reise ihres Lebens ist, stellen sie diese Verbindung nicht her.
Die meisten Menschen erkennen nicht, dass dieses Gefühl, eine Reise zu unternehmen, zum Sterben dazugehört. Tatsächlich war ein Hospiz im Mittelalter eine Zwischenstation, wo Reisende sichere Unterkunft und Verpflegung finden konnten, eine kleine Oase unterwegs. Hier konnten die Reisenden sich ausruhen und neue Kraft schöpfen, bevor sie ihren langen und beschwerlichen Weg zu unbekannten Zielen wieder aufnahmen. Auch diejenigen, die tatsächlich an der Schwelle des Todes standen, wurden aufgenommen und erhielten Bett, Nahrung und Begleitung. Zwar denken wir heute nicht mehr an die Ursprünge unserer modernen Hospize, doch im Unterbewusstsein ist dieser Archetyp noch vorhanden – der Akt des Sterbens ist vielleicht die »Rast«, die wir vor unserer letzten Reise brauchen.
Dieses Phänomen kann viele individuelle Formen annehmen. Einige wollen ihre Koffer packen und Fahrkarten besorgen, anderen geht es nur darum, sich selbst für »die Abfahrt« bereit zu machen. Bestimmte Krankheiten, zum Beispiel Krebs im Endstadium, haben einen klar vorgezeichneten Verlauf mit Höhen und Tiefen und einem vorhersehbaren Verfall am Ende. Andere Krankheiten, etwa Herz- und Lungenleiden, weisen Phasen eingeschränkter Gesundheit auf, nach denen der Tod ganz plötzlich eintreten kann. Die Art und Weise unseres Sterbens hat deutlichen Einfluss darauf, wie wir uns auf die Reise vorbereiten. Das erinnert mich an einen weiteren meiner Patienten:
Arthur war ein aktiver Mann Ende 50, der sein letztes Lebensjahrzehnt mit einer Lungenerkrankung zugebracht hatte. In seinen letzten Wochen fühlte er sich erschöpft, griff immer häufiger zu seinem Sauerstoff und ging nicht mehr weit von zu Hause weg. Eines Morgens jedoch erwachte er mit einem richtigen Energieschub, duschte, rasierte sich, zog seinen Lieblingsanzug und seine beste Krawatte an. Er rief ein paar Freunde an und bat sie, mit ihm frühstücken zu gehen. Sie waren überrascht, als sie ihn so herausgeputzt sahen, und fragten, ob etwas Besonderes sei. Er antwortete: »Ich bin heute mit gutem Gefühl aufgewacht und spürte einfach, dass heute alles anders wird.«
Sie genossen ein wunderbares Frühstück miteinander, und Arthurs Freunde waren froh, ihn so munter und aktiv zu erleben. Als er wieder nach Hause kam, wollte er ein Nickerchen machen. Er hängte sein Jackett ordentlich auf, legte sich aufs Bett und starb.
Arthurs Freunde waren nicht allzu erschrocken über seinen Tod, weil sie damit gerechnet hatten. Zunächst waren sie völlig verblüfft, wie gewissenhaft er sich fürs Frühstück zurechtgemacht hatte, aber dann fiel ihnen ein, dass es Leute gibt, die im Flugzeug Jogginghosen tragen, und andere, die einen Anzug anziehen. Arthur gehörte eindeutig zur letzteren Sorte: Er hatte darauf geachtet, dass er bei seiner letzten Reise sauber und adrett aussah.
Uns mag es scheinen, als ginge es bei diesen »Reisen« um die Abfahrt, für die Sterbenden jedoch geht es eher ums Ankommen. Dieses Kapitel vermittelt uns tiefere Einsichten in solche Geschichten.
Das Boot liegt am Pier
von Anita
Als Sozialarbeiterin in einem großen Krankenhaus ist es meine Aufgabe, meinen Patienten zuzuhören, ihre Ressourcen zu erkennen und ihnen zu helfen, sich in dem komplexen medizinischen System zurechtzufinden. Ich würde gerne von Felicia erzählen. Sie war bereits über 80 Jahre alt und litt an einer Stauungs-Herzinsuffizienz (kongestives Herzversagen), die unweigerlich zum Tode führen würde. Die attraktive Frau mit langem grauem Haar war Hausfrau gewesen und hatte ihre Kinder großgezogen, die jetzt selbst Kinder hatten. Ihr Mann hatte auf den Ölfeldern gearbeitet und der Familie einen guten Lebensstandard ermöglicht.
Felicia war ihr ganzes Leben lang eine lebhafte, energiegeladene Frau und kaum einmal krank gewesen. Als das Herzleiden bei ihr festgestellt wurde, spielte sie die Diagnose herunter. Sie war sich sicher, dass ihre Ärzte überreagierten.
Ich habe diese Frau kaum einmal krank oder auch nur müde erlebt, und selbst als sich ihr Zustand verschlechterte, leugnete sie dies so lange wie möglich. Das war
leicht, denn Felicia konnte ihre leichten gesundheitlichen Probleme zunächst gut vertuschen. Doch bald konnte sie es nicht mehr verbergen, denn selbst
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