Am Ende ist da nur Freude
der Körper kommt an sein Ende. Doch das, was wir sind, lebt offensichtlich weiter und setzt seine Reise fort.
In meinem ersten Buch In Würde. Die Rechte der Sterbenden sprach ich über die Zeit, als wir auf dem Flughafen jemanden noch bis zu seinem Flugsteig bringen konnten. Unsere Freunde und Angehörigen zu begleiten, bis wir wussten, dass sie wohlbehalten abreisen konnten, war ein Akt der Liebe, selbst wenn wir traurig waren, dass sie gehen mussten.
Ähnlich können wir unsere Lieben begleiten, bis sie am Ende ihres Lebens angekommen sind, aber dann müssen wir sie loslassen. Doch sterben sie wirklich allein? Warten am Ziel – am »Flugsteig« auf der anderen Seite – Familie und Freunde vielleicht ebenso aufgeregt darauf, sie zu begrüßen? Zeigen sie sich uns, bevor wir sterben? Die Geschichten im folgenden Kapitel geben Antwort darauf.
Kapitel 8
Überfüllte Räume am Ende des Lebens
Ich glaube, wir sollten diese Besprechung an einen anderen Ort verlegen.
Letzte Worte von Adam Smith
Der dritte Typ von Erfahrungen auf dem Sterbebett, von denen ich oft höre, bezieht sich auf »überfüllte Räume«. Beim Hören dieser Geschichten beeindruckte mich, dass immer wieder die Worte »viele Leute« und »überfüllt« fielen. Als ich anfing, Beispiele zu sammeln, um sie in dieses Buch aufzunehmen, war ich überrascht, wie ähnlich sie einander waren. Die Entscheidung, welche ich auswählen würde, war sehr schwer, weil sie sich alle so ähnelten. Inzwischen ist mir klar, dass gerade das, worin sie sich wiederholen, zugleich ihre Einzigartigkeit ausmacht.
Vielleicht erfassen wir gar nicht vollständig, mit wie vielen Menschen wir im Laufe unseres Lebens in Berührung gekommen sind. Wir erinnern uns nicht an jeden, dem wir einmal begegnet sind, und ganz bestimmt nicht an alle Personen, die unseren Weg gekreuzt haben, als wir Kinder waren. In der Komplexität des Lebens und des Todes denken
wir nicht immer an die, die vor uns kamen; wir wissen einfach nur, wo wir selbst uns am Stammbaum der Familie befinden. Vielleicht gelingt es uns jedoch im Sterben, eine Verbindung herzustellen zu den Stationen in der Vergangenheit, die uns damals im Leben entgangen sind.
Oft sage ich, wenn jemand stirbt, kann es eng werden wie auf dem Jahrmarkt. Und ich wie schon sagte, glaube ich fest daran, dass wir wie bei der Geburt auch im Sterben von liebevollen Händen empfangen werden.
Hier eine meiner eigenen Geschichten, in der es um eine Patientin geht, die ich Alice genannt habe.
Eines Nachmittags kam ich auf einen Besuch bei Alice und ihrem Mann Sal vorbei. Die Krankenschwester sagte mir, dass Sal eben zum Flughafen gefahren sei, um den Sohn abzuholen, der bei seiner sterbenden Mutter sein wollte. Als ich das Zimmer betrat, traf ich meine 79-jährige Patientin schlummernd an. Weil ich sie nicht stören wollte, setzte ich mich in den Sessel neben ihrem Bett. Als ich nach ein paar Minuten aufstand und wieder gehen wollte, hörte ich eine zarte Stimme: »Wer sind die ganzen Leute?«
»Das bin nur ich, Alice«, sagte ich. »Haben Sie geträumt? «
»Nein, ich träume nicht. Sehen Sie, die Leute.«
»Wen sehen Sie?«
Statt zu antworten, setzte sie sich ruckartig im Bett auf und fragte mich: »Wieso ist es hier so voll?«
Ich war völlig verblüfft, als ich zum ersten Mal mitbekam, dass eine sterbende Patientin einen überfüllten Raum wahrnahm. Aber schon bald sollte mir klar werden, wie verbreitet dieses Phänomen ist und was es vielleicht bedeutet. Immer und immer wieder hörte ich Sterbende sagen, die sähen sehr viele Leute, auch wenn ihr Zimmer in Wirklichkeit leer war (außer einem Familienmitglied oder jemandem vom Pflegedienst). In manchen Fällen erzählten sie mir, wer jeder Einzelne war, andere Male wieder erkannten die Sterbenden nur wenige Personen.
Ich würde hier gern eine weitere Geschichte aus meinem ersten Buch erzählen, weil sie ein gutes Beispiel für eine Vision eines überfüllten Raumes ist. Ein Kollege bat mich einmal, einen seiner Patienten zu besuchen, der Lehrer für Naturwissenschaften gewesen war. Er sagte, Mr. Hill läge im Sterben und habe viele Fragen, bei denen ich ihm vielleicht weiterhelfen könne. Folgendes geschah:
Auf dem Weg zum Krankenhauszimmer von Mr. Hill sann ich darüber nach, was für Fragen dieser 80-Jährige wohl haben mochte. Wir plauderten ein wenig, und ich erfuhr, dass er seit zehn Jahren Witwer und pensioniert war. Dann kam er direkt zum Thema und bat mich, ihm
Weitere Kostenlose Bücher