Am Ende war die Tat
schon anfing zu glauben, sie hätten sich ein neues Opfer gesucht. Doch dann tauchten sie plötzlich wieder auf, wie hungrige Haie, die in ihr Jagdrevier zurückkehren.
Sie beschränkten sich vorerst darauf, sie zu verfolgen. Es fing eines Tages an, als Joel Toby zum Lernzentrum brachte. Sie kamen aus einer Videothek auf der anderen Straßenseite, und sobald Joel sie entdeckte, war er überzeugt, sie würden die Absperrung überspringen und wie schon einmal zuvor die belebte Straße überqueren, um sich auf ihn und Toby zu stürzen. Doch stattdessen blieben sie auf der anderen Seite, stolzierten den Bürgersteig entlang und gaben leise Rufe von sich, als wollten sie einem Komplizen ein Signal geben, aus einem der Geschäfte, die Joel und Toby passierten, hervorzubrechen.
Als Toby sie entdeckte, packte er Joels Hosenbein und rief: »Da sind die Typen, die meine Lavalampe kaputtgemacht ha'm!« Seine Angst war nicht zu überhören.
Joel bemühte sich, ruhig zu bleiben, erinnerte seinen Bruder an die Dschungelexpedition und an die Kopfjäger. »Wo würdest du hinrennen, wenn ich jetzt nich' hier war, Tobe?«
Zu Tante Kendras Laden, antwortete er, ins Hinterzimmer, rein in den Wäschekorb und nicht anhalten, um der Tante zu erklären, was er vorhatte.
Doch an diesem Tag taten Neal und seine Clique nichts weiter. An den nächsten Tagen folgten sie ihnen wieder. Wenn Joel auch der Meinung war, dass in mancherlei Situationen ein Überraschungsangriff kurz bevorstand, wollten sie doch nur ihre Opfer zermürben, den Feind weichkochen.
Bei Toby gelang es ihnen. Vier Tage lang verfolgte die schweigsame Rotte ihn; dann machte Toby sich wieder in die Hose - auf der Eingangstreppe der Middle Row School, als erauf Joel wartete. Auf dem Weg vom Bus sah Joel Neal und die anderen genau gegenüber der Schule, wo sie vor einem Pub mit Namen »The Chilled Eskimo« herumlungerten, die Blicke starr auf Toby gerichtet.
Dieses Ausmaß an Cleverness verblüffte Joel. Er hatte sie bislang für ein Pack gehalten, das sein Opfer ansprang, zusammenschlug und dann verschwand. Jetzt wurde ihm klar, dass Neal über eine gewisse Schläue verfügte. Es gab also einen Grund, warum er der Anführer dieser Horde war.
Was Joel brauchte, war ein Ratgeber, jemand, der ihm half, diese Situation zu meistern. Mit Kendra konnte er nicht darüber reden. Damit hätte er riskiert, dass sie sich noch mehr sorgte. Ness, die eine wundersame Wandlung durchlaufen hatte, war zu sehr mit der Kindertagesstätte beschäftigt. Dix kam nicht infrage, ebenso wenig Carole Campbell. Somit blieb nur Ivan Weatherall.
Joel kleidete sein Anliegen in Verse, die er Ivan gab, als sie sich das nächste Mal sahen.
»Er lauert dort draußen«, begann sein Gedicht, »Blut und Schmerz beherrschen seinen Sinn.«
Ivan las es während ihrer Förderstunde in der Schule, zu der sie sich immer noch trafen, genau wie vor den Ferien. Nachdem er die Lektüre beendet hatte, sprach er eine Weile über emotive Sprache und künstlerische Intentionen, als befänden er und Joel sich bei einem Führt-Worte-statt-Waffen-Treffen oder in Ivans Lyrikkurs, den er bei Paddington Arts anbot. Joel fing schon an zu glauben, Ivan wolle das Thema des Gedichts völlig ignorieren.
Doch dann sagte er schließlich: »Das ist es, nehme ich an.«
»Was?«
»Das ist der Grund, warum du bei Führt Worte nicht mehr vorliest. Und warum du auch nicht mehr bei >Du hast das Wort< mitmachst.«
»Aber ich schreib immer noch Gedichte.«
»Hm. Ja. Und das ist gut so.« Ivan las Joels Werk noch einmal, ehe er fragte: »Also, wer ist er? Reden wir von Stanley? Das hier ist eine ziemlich treffende Beschreibung dessen, was seine Gemütsverfassung zu sein scheint.«
»The Blade? Nein.«
»Sondern?«
Joel bückte sich und band seinen Schuh neu, was nicht nötig gewesen wäre. »Neal Wyatt. Sie wissen schon.«
»Ah. Neal. Der Zusammenstoß in Meanwhile Gardens.«
»Sind noch andere Sachen passiert. Er hat's auf Toby abgeseh'n. Ich hab versucht, mir was zu überlegen, wie ich ihn davon abbring' kann.«
Ivan legte das Gedicht auf den Tisch. Er schob das Blatt exakt an die Tischkante. Joel fielen wieder Ivans manikürte Hände auf, die sorgfältig gefeilten und polierten Nägel. In diesem Moment wurde er sich der gewaltigen Unterschiede zwischen ihnen bewusst. Diese Hände kamen Joel vor wie Boten der Welt, aus der sie stammten, einer Welt, in der Ivan Weatherall - ungeachtet seiner guten Absichten - niemals hatte
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