Am Ende war die Tat
zur Wornington Road. Sie kamen an dem asphaltierten Fußballplatz vorbei, den Majidah missfällig betrachtete. »Diese Graffiti ... Die werden von Männern gemacht, weißt du. Männer und Jungen, die mit ihrer Zeit Besseres anfangen sollten. Aber sie sind nicht dazu erzogen worden, ein nützliches Leben zu führen. Und warum? Wegen ihrer Mütter. Die sind schuld. Mädchen wie du, die Babys zur Welt bringen, sich aber für nichts anderes interessieren als für hochhackige Stiefel und Augenbrauenringe.«
»Ha'm Sie auch noch 'n anderes Thema?«
»Ich weiß, wovon ich rede. Komm mir ja nicht frech, junge Dame!«
Sie marschierte weiter, Ness im Schlepptau. Sie kamen am Kensington and Chelsea College vorbei und schließlich zum südlichen Ende des Wornington Green Estate, eine der weniger verrufenen Wohnsiedlungen dieser Gegend. Sie sah so ähnlich aus wie alle anderen: Mehrfamilienhäuser, die einen Ausblick auf weitere Reihen Mehrfamilienhäuser boten. Aber es lag weniger Abfall auf dem Gehweg, und das Fehlen von Sperrmüll, rostigen Fahrrädern oder abgefackelten Sesseln auf den Balkonen sprach von der Ordnungsliebe der Hausbewohner. Majidah brachte Ness zum Watt's House, wo ihr verstorbener Gatte während einer der konservativen Regierungsphasen eine Wohnung gekauft hatte. »Das einzig Anständige, was er je getan hat«, eröffnete sie Ness. »Ich gestehe, der Tag, als mein Mann starb, war einer der glücklichsten meines Lebens.«
Sie betraten das Haus und stiegen die Treppe zum zweiten Stock hinauf. Dann ging es zwanzig Schritte einen mit PVC ausgelegten Flur entlang, wo jemand mit Textmarker »Frissmich, frissmich, frissmich, Fucker« an die Wand geschrieben hatte. Majidahs Wohnungstür war - anders als die anderen - stahlverkleidet wie die Safetür in einer Bank und hatte einen Spion in der Mitte.
»Was bewahr'n Sie hier denn auf?«, fragte Ness, während Majidah den ersten von vier Schlüsseln ins Schloss steckte. »Goldbarren oder so?«
»Hier habe ich den Seelenfrieden, der, wie du hoffentlich eines Tages lernen wirst, mehr wert ist als Gold oder Silber.« Sie öffnete die Tür und schob Ness hinein.
Das Innere der Wohnung war wenig überraschend: Sie war ordentlich, und es roch nach Möbelpolitur. Die Dekoration war spärlich, die Einrichtung alt. Die Teppichfliesen wurden von einem abgetretenen Perserteppich verdeckt, und - dies schien ein wenig aus dem Rahmen zu fallen - an den Wänden hingen kolorierte Bleistiftzeichnungen verschiedenster Kopfbedeckungen. Eine Fotosammlung in Holzrahmen stand auf einem Beistelltisch am Sofa. Männer, Frauen und Kinder. Eine beachtliche Anzahl Kinder.
Das zweite Element, das aus dem Rahmen fiel, war eine Sammlung drolliger Tongefäße: Krüge, Blumentöpfe, kleine und größere Blumenvasen, die alle mit comicartigen Waldbewohnern bemalt waren. Hasen und Rehkitze waren in der Überzahl, aber hier und da war auch eine Maus, ein Frosch oder ein Eichhörnchen zu sehen. Die Gefäße standen in zimmerhohen Regalen zu beiden Seiten der Küchentür. Ness schaute von den Tongefäßen zu Majidah und konnte sich keine Frau vorstellen, zu der eine solche Sammlung weniger gepasst hätte.
»Jeder Mensch braucht etwas, das ihn zum Lächeln bringt, Vanessa«, erklärte Majidah. »Kannst du sie ansehen und dir ein Lächeln verkneifen? Nun ja, vielleicht schon. Aber du bist ja auch eine sehr ernsthafte junge Dame mit ernsthaften Problemen. Setz bitte den Kessel auf, wir wollen Tee trinken.«
Die Küche war ebenso aufgeräumt wie das Wohnzimmer. Der Wasserkocher stand auf einer makellosen Arbeitsplatte, und Ness füllte ihn an der auf Hochglanz gewienerten Spüle, während Majidah das Fleisch in den Kühlschrank und Obst und Gemüse in einen Korb auf dem kleinen Küchentisch legte und die Blumen in eine Vase und diese dann neben ein einzelnes Foto auf die Fensterbank stellte. Als das Wasser aufgesetztwar und Majidah Teekanne und Tassen aus dem Schrank holte, trat Ness ans Fenster, um das Foto zu betrachten. Es wirkte deplatziert hier in der Küche. Es zeigte eine sehr junge Majidah Seite an Seite mit einem grauhaarigen Mann, dessen Gesicht auffallend faltig war. Sie sah aus, als wäre sie vielleicht zehn oder zwölf, und war mit einer Unzahl goldener Ketten und Armbänder behängt. Sie trug einen blau-goldenen Shalwar Kamiz, der alte Mann einen weißen.
»Is' das Ihr Großvater?«, fragte Ness und nahm das Foto in die Hand. »Sie seh'n da drauf nich' grad fröhlich aus.«
»Frag
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