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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Stück Papierdurchforstete, sagte der Mann: »Scheiß drauf.« Er schüttelte Ness' Tasche von der Schulter und ließ sie zu Boden fallen. Dann beugte er sich vor, um Ness ins Gesicht zu sehen, und verlangte, sie solle die Wahrheit sagen.
    Ness' Antwort folgte auf dem Fuß: »Du wolltes ', dass ich dir ein' blas, das is' die Wahrheit. Du hattes ' es richtig nötig.«
    »Scheiße«, sagte er und warf die Beifahrertür krachend zu. Dann ging er zur Fahrerseite hinüber und sagte über das Wagendach hinweg zu Kendra: »Besser, Sie kümmern sich um sie, ehe jemand anders es tut.«
    »Rotsehen«, so wurde Kendra in diesem Augenblick klar, war eine absolut treffende Beschreibung der optischen Veränderung, die sich einstellt, wenn der Zorn eine gewisse Intensität erreicht. Der Mann fuhr davon, ehe sie antworten konnte - ein Fremder, der es wagte, sie zu verurteilen, weil es ihr nicht gelang, ihre Nichte unter Kontrolle zu bekommen.
    Sie fühlte sich bloßgestellt. Sie war wütend. Fühlte sich ausgenutzt und dumm. Als Ness auch noch kicherte und sagte: »Ich sag dir, Ken, der Kerl hat ein Ding so lang wie ein Pferd«, schlug sie sie so hart ins Gesicht, dass der Schmerz von ihrer Handfläche bis in die Schulter hinaufstrahlte.
    Ness' Beine gaben nach. Sie fiel gegen die Hauswand und landete auf den Knien. Kendra stürmte vor und holte noch einmal aus. Doch Cordie hielt sie am Arm fest. »Nicht, Ken. Tu's nicht«, sagte sie, und das war genug.
    Ness wurde mit einem Mal nüchtern - jedenfalls teilweise. Als Kendra also schließlich das Wort an sie richtete, hatte sie die passende Erwiderung schon auf der Zunge.
    »Willst du, dass die ganze Welt dich für eine Schlampe hält?«, schrie Kendra. »Ist es das, was du dir wünschst, Vanessa?«
    Ness kam mühsam auf die Füße und wich vor ihrer Tante zurück. »Mir doch scheißegal.«
    Ness lief stolpernd den Weg hinter den Reihenhäusern entlang und weiter zum Park. Sie hörte ihre Tante hinter sich ihren Namen rufen, und: »Du kommst sofort zurück nach Hause!«
    Ness spürte ein bitteres Lachen in sich aufsteigen. Sie hatte kein Zuhause mehr, nur die Bleibe, wo sie sich ein Bett mit ihrer Tante teilte, während ihre kleinen Brüder im Nebenraum auf hastig angeschafften Campingliegen schliefen. Joel und Toby hatten darauf bestanden, ihre ordentlich gepackten Koffer unter diesen Liegen zu verwahren - seit über zwei Monaten schon. Die Jungen glaubten immer noch hartnäckig, was sie glauben wollten: Ganz gleich, wie viel Zeit seit der Abreise ihrer Großmutter vergangen war - sie würde ihr Versprechen von einem Leben unter karibischer Sonne im Land ihrer Wurzeln wahr machen.
    Ness hatte nie versucht, ihren Brüdern die Tatsachen vor Augen zu führen, hatte ihnen nie erklärt, was es bedeutete, dass sie kein Wort von Glory gehört hatten, seit diese sie vor Kendras Haustür abgeladen hatte. In Ness' Augen war das Verschwinden ihrer Großmutter kein großer Verlust. Wenn Glory ihre Enkel nicht brauchte und wollte, dann brauchten und wollten diese Enkelkinder sie umgekehrt ganz sicher auch nicht. Doch obwohl Ness sich dies im Laufe der vergangenen Wochen wieder und wieder gesagt hatte, änderte das nicht viel an ihren Gefühlen.
    Als Ness ihre Tante vor ihrem Haus am Edenham Way zurückließ, machte sie sich keine Gedanken darüber, wohin sie eigentlich wollte. Sie wusste nur, dass sie keine Sekunde länger in Kendras Nähe bleiben konnte. Sie wurde schneller nüchtern als befürchtet, und einher mit dieser einsetzenden Nüchternheit ging die Übelkeit, die sie normalerweise erst am nächsten Morgen verspürte. Sie sehnte sich nach Wasser, worin sie ihr schweißnasses Gesicht baden konnte, und so schlug sie den Pfad zum Kanal am Ende des Parks ein.
    Trotz ihres Zustands war sie sich der Gefahr bewusst, dass sie in den Kanal fallen konnte, und ließ Vorsicht walten. Sie legte sich auf den Bauch, benetzte ihr Gesicht mit dem öligen Wasser, spürte die fettige Konsistenz auf den Wangen, und ein Geruch stieg ihr in die Nase, der dem eines stehenden Tümpels nicht unähnlich war. Prompt musste sie sich übergeben. Dann lag siekraftlos auf der Erde und lauschte den Rufen ihrer Tante, die auf der Suche nach ihr Meanwhile Gardens durchstreifte. Kendras Stimme verriet Ness, dass ihre Tante in Richtung Kindertagesstätte lief, dann weiter ins Zentrum des Parks, sodass sie zu dem Weg gelangen musste, der zwischen den Hügeln hindurch zu der Wendeltreppe führte. Ness kam torkelnd auf die

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