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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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gehalten.
    Im Schein der Laterne erkannte sie jedoch die Tätowierung, die sich unter der Baskenmütze hervorschlängelte und auf ewig seine Wange entstellte: eine Kobra mit gebleckten Giftzähnen. Und sie sah die Reihe goldener Ohrringe und die Lässigkeit, mit der er das leere Zigarettenpäckchen zusammendrückte und vor die Tür der Polizeiwache schleuderte. Sie hörte, wie er sich räusperte und dann ausspuckte. Dann zückte er ein Handy und klappte es auf.
    Das war ihre Chance. Sie überquerte die Straße und ging auf den Mann zu, der vielleicht Mitte zwanzig war.
    »Wo zum Teufel bist du?«, fragte er ins Telefon, als Ness ihn am Arm berührte.
    Argwöhnisch wandte er sich zu ihr um, und sie hob das Kinn. »Du bis' The Blade, oder?«, fragte sie. »Ich brauch heut Abend unbedingt was, Mann. Ich muss irgendwas einschmeißen, also sag einfach Ja oder Nein.«
    Er reagierte nicht sofort, und für einen Moment fürchtete Ness, sie habe entweder den falschen Mann oder die falschen Worte gewählt. Dann befahl er ins Telefon: »Beweg dein' Arsch hierher, Cal.« Er klappte das Handy zu und nahm Ness in Augenschein. »Wer zum Geier bis' du?«
    »Jemand, der sich was einfahren will. Mehr brauchste nich' wissen.«
    »Ah ja? Und was willste dir ... einfahr'n?«
    »Gras oder Shit wär super.«
    »Wie alt bis' du? Zwölf? Dreizehn?«
    »Hey, ich bin alt genug, und ich kann zahlen.«
    »Darauf wett ich. Und womit? Haste zwanzig Pfund in der Tasche?«
    Das hatte sie natürlich nicht. Sie hatte nicht einmal fünf. Doch die Tatsache, dass er sie für zwölf oder dreizehn gehalten hatte und sie einfach so abservieren wollte, spornte sie an, und auf einmal wollte sie mehr denn je, was er anzubieten hatte. Sie verlagerte das Gewicht auf einen Fuß und schob die Hüfte vor. Dann neigte sie den Kopf zur Seite und musterte ihn. »Mann, ich kann bezahlen, mit was immer du wills'. Oder besser: Ich kann damit bezahlen, was du brauchs'.«
    Er schnalzte mit der Zunge, und Ness wurde innerlich ganz kalt, doch sie ignorierte den Laut und das, was er implizierte. Und als er antwortete: »Na, das is' ja mal 'ne interessante Wendung«, glaubte sie sich am Ziel.
    6
    Ein paar Wochen vor seinem achten Geburtstag zeigte Toby Joel die Lavalampe. Sie stand im Schaufenster eines Ladens am Anfang der Portobello Road, ein gutes Stück nördlich der Gegend, für die diese Straße berühmt ist: die weitläufigen Märkte, die wie kommerzielles Unkraut aus dem Boden schössen und sich um Notting Hill Gate herum ausbreiteten.
    Die Lavalampe gab ihre tröpfelnde Vorstellung in einem Laden zwischen einer Halal-Schlachterei und einem Imbiss namens Cockney's traditionelle Aalküche. Sie war ihm ins Auge gefallen, als eine Gruppe der kleineren Schüler von der Middle Row School in Reih und Glied die Portobello Road entlangmarschiert war, um bei einem Feldversuch im Postamt zu erlernen, wie man möglichst höflich Briefmarken kaufte. Die Lehrer hegten die Hoffnung, dass die Kinder diese Lektion für alle Einkäufe bis ans Ende ihrer Tage beherzigen würden. Es war eine Übung, in der gleichzeitig Kopfrechnen und soziale Kompetenzen erlernt werden sollten. Toby war in beiden Disziplinen keine Leuchte.
    Doch die Lavalampe war ihm aufgefallen. Das Aufsteigen und Herabrieseln der zähflüssigen Substanz in ihrem Innern lockte ihn aus der Reihe zum Schaufenster hinüber, wo er umgehend eine Reise nach Sosi antrat. Die anderen Kinder holten ihn mit ihren Rufen zurück und weckten die Aufmerksamkeit des Lehrers, der die Gruppe anführte. Die Mutter, die sich freiwillig gemeldet hatte, die Kinder zu begleiten, und am hinteren Ende Aufsicht hielt, erkannte das Problem sofort. Sie zog Toby vom Schaufenster weg und brachte ihn an seinen Platz zurück. Doch die Erinnerung an die Lavalampe blieb Toby im Gedächtnis. Noch am selben Abend begann er, davon zu erzählen, während sie ihre gebratenen Scampi, Pommes frites und
    Erbsen vertilgten. »Total geil«, nannte er die Lampe, während er sein Essen in brauner Soße ertränkte, und kam so oft darauf zurück, bis Joel schließlich einwilligte, sich mit eigenen Augen von den visuellen Freuden zu überzeugen.
    Die Flüssigkeit im Innern war purpurrot. Die »Lava« war orangefarben. Toby presste die Nase gegen das Schaufenster, seufzte, und prompt bildete sich ein feiner Nebel auf der Scheibe. »Ist die nich' geil, Joel?«, fragte er und drückte auch noch die Handflächen gegen das Glas, als wolle er hindurchgreifen und mit dem

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