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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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bitten. Tatsächlich zögerte er, sie auch nur an Tobys Geburtstag zu erinnern. Manchmal dachte er flüchtig daran, wie es in der Vergangenheit gewesen war: Geburtstagsessen auf einem besonderen Geburtstagsteller, ein »Happy Birthday«-Schild, das schief im Küchenfenster hing, ein uraltes Blechkarussell auf dem Tisch, das sich nicht mehr aufziehen ließ, und wie aus dem Nichts zauberte sein Dad stets einen Geburtstagskuchen hervor, auf dem immer die richtige Anzahl Kerzen brannte, und sang dazu ein selbst gedichtetes Geburtstagslied. Ein einfaches »Happy Birthday to you« sei für seine Kinder nicht gut genug, sagte er immer.
    Wenn Joel an diese Dinge dachte, hatte er immer das Gefühl, er müsse sich irgendwie gegen das Leben wehren, das seinen Geschwistern und ihm aufgebürdet worden war, doch sah er mit seinen zwölf Jahren keine Möglichkeit, die Ungewissheiten ihrer Existenz zu lindern. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu versuchen, ihr jetziges Leben dem früheren so ähnlich wie nur irgend möglich zu machen.
    Tobys Geburtstag gab Joel die Gelegenheit, genau das zu tun. Darum entschloss er sich schließlich, seine Tante um Hilfe zu bitten. Er wählte einen Tag, an dem Tobys Förderunterricht im Lernzentrum länger dauerte. Statt dort herumzuhängen und zu warten, flitzte er zum Laden hinüber, wo Kendra im Hinterzimmer Blusen bügelte. Sie hatte jedoch die Tür im Auge für den Fall, dass Kundschaft hereinkam.
    »Hallo, Tante Ken«, rief Joel über die Türglocke hinweg und beschloss, sich nicht davon abschrecken zu lassen, dass sie nur mit einem knappen Nicken antwortete.
    »Wo ist Toby?«, fragte sie.
    Joel erinnerte sie an den längeren Förderunterricht. Den hatte sie offenbar vergessen. Er nahm an, dass sie auch Tobys Geburtstag vergessen hatte, weil sie nie davon sprach. Hastig, weil er fürchtete, sonst den Mut zu verlieren, stieß er hervor: »Toby wird bald acht, Tante Ken. Ich will ihm eine Lavalampe besorgen, die er drüben an der Portobello Road geseh'n hat und die's ihm angetan hat. Aber ich brauch mehr Geld. Kann ich für dich arbeiten?«
    Kendra entging sein Tonfall nicht, der so hoffnungsvoll klang, obwohl der Junge sich bemühte, seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten. Joel gab sich solche Mühe, damit er selbst und Toby ihr nicht zur Last fielen! Kendra war nicht dumm, sie wusste, dass sie den Kindern nicht gerade das Gefühl vermittelt hatte, ihr willkommen zu sein.
    »Wie viel brauchst du denn?«, fragte sie zurück. Und als er ihr die Summe nannte, stand sie einen Moment nur nachdenklich da, und zwischen ihren Brauen bildete sich eine tiefe Furche. Schließlich trat sie an die Kasse. Aus dem Regal darunter förderte sie einen Stapel Papiere in allen Farben des Regenbogens zutage und winkte Joel näher, um sie sich mit ihr zusammen anzusehen.
    »Top-Angebot: Massage«, stand oben auf jedem der Zettel, darunter die Zeichnung einer Gestalt, die mit dem Gesicht nach unten lag, und einer zweiten, die über die erste gebeugt offenbar deren Rücken knetete. Dann folgten eine Preislistefür unterschiedliche Massagearten und Kendras Festnetz- und Handynummer.
    »Die müssen verteilt werden«, erklärte sie Joel. »Klapper die Läden ab, und frag die Besitzer, ob du die Zettel ins Fenster hängen darfst. Und in Fitnessstudios will ich sie auch. Und in Pubs. In Telefonzellen. Und an jedem anderen Ort, der dir noch einfällt. Kannst du das für mich tun? Dann kriegst du das Geld für Tobys Lampe.«
    Joels Herz wurde leichter. Klar konnte er das. Fälschlicherweise nahm er an, es sei ein Kinderspiel. Fälschlicherweise glaubte er, es werde zu nichts anderem führen, als dass er das nötige Geld bekam, um seinem kleinen Bruder ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen.
    Wenn Joel Kendras Werbezettel verteilte, trottete Toby hinter ihm her. Der Kleine konnte nicht allein zu Hause bleiben, ebenso wenig konnte er im Lernzentrum warten und erst recht nicht im Laden, wo er Kendra im Weg gewesen wäre. Es stand auch völlig außer Frage, dass Ness ihn beaufsichtigte. Also ging er mit Joel und wartete gehorsam vor den Geschäften, in deren Fenster die Zettel aufgehängt wurden.
    Nur in die Fitnessstudios durfte Toby mitkommen, denn in deren Eingangsbereichen, wo meist nur der Anmeldeschalter und die Schwarzen Bretter zu finden waren, konnte er nichts anstellen. Das Gleiche galt für Polizeiwachen, Büchereien und Kirchen. Toby ahnte, dass all diese Aktivitäten im Zusammenhang mit der Lavalampe standen,

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