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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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versicherte Ivan. »Und überaus beeindruckt von der Weitsicht deiner Ausstattung, Toby. Ist das übrigens eine Abkürzung für Tobias?«
    Joel betrachtete seinen Bruder und sann über das Wort »Ausstattung« nach. Dann ging ihm auf, dass Ivan den Schwimmreifen meinte - angesichts des Ententeichs glaubte der Mann wohl, sie hätten vorausschauend Tobys Sicherheit im Sinn gehabt.
    »Einfach nur Toby«, antwortete Joel. »Ich schätze, meine Eltern wussten nich', dass Toby 'ne Abkürzung für irgendwas is'.«
    Sie kletterten die Böschung hinauf, und Ivan nahm Toby genauestens in Augenschein und zückte dann ein weißes Taschentuch. Doch statt sich selbst am Gesicht des kleinen Jungen zu schaffen zu machen, reichte er das Tuch wortlos an Joel weiter. Der nickte ihm dankbar zu und wischte seinem Bruder das Gesicht ab. Toby hielt den Blick unverwandt auf Ivan gerichtet, als sehe er ein Geschöpf aus einer fremden Galaxie.
    Als Tobys halbwegs sauber war, lächelte Ivan. »Wollen wir?«, fragte er und zeigte in Richtung Reihenhaussiedlung. »Wie ich von der Schule erfahren habe, wohnt ihr beide bei eurer Tante. Ob es ihr heute wohl genehm wäre, wenn ich ihr meine Aufwartung machte?«
    »Sie is' bei der Arbeit«, erwiderte Joel. »Im Secondhand- laden. Der is' an der Harrow Road.«
    »Der Laden der AIDS-Hilfe, richtig?«, fragte Ivan. »Oh, den kenne ich gut. Das ist eine ehrenwerte Arbeit, die sie dort leistet. Eine fürchterliche Krankheit.«
    »Mein Onkel is' dran gestorben«, erzählte Joel. »Der Bruder von Tante Ken. Mein Dad war ihr älterer Bruder. Gavin. Der jüngere hieß Cary.«
    »Ein schwerer Verlust für sie.«
    »Ihr Mann is' auch gestorben. Ihr erster, mein ich. Ihr zweiter Mann is' ...« Joel hielt inne. Er gab zu viel preis. Aber er hatte sich verpflichtet gefühlt, etwas von sich zu geben - als Gegenleistung dafür, dass Ivan da gewesen war, als Joel ihnbrauchte, und über Tobys Eigenartigkeit nicht mit der Wimper gezuckt hatte.
    Ihre Ankunft am Haus ihrer Tante ersparte Joel, weiter reden zu müssen, und Ivan bedrängte ihn auch nicht. Die beiden Jungen erklommen die Eingangsstufen.
    »Nun denn. Ich würde mich freuen, eure Tante bei anderer Gelegenheit kennenzulernen«, sagte Ivan. »Vielleicht schau ich mal im AIDS-Laden vorbei und stelle mich ihr vor. Nur mit deiner Erlaubnis, natürlich.«
    Flüchtig dachte Joel daran, dass Hibah ihn vor diesem Mann gewarnt hatte. Doch bislang war nichts Eigenartiges vorgefallen, wenn sie sich zu ihren Gesprächsterminen in der Schule getroffen hatten. Joel fühlte, dass von Ivan keine Gefahr ausging, und er wollte seiner Intuition trauen. »Könn' Sie machen, wenn Sie woll'n.«
    »Hervorragend«, antwortete Ivan und streckte die Hand aus. Joel schüttelte sie und versetzte Toby dann einen Stups, um ihm anzuzeigen, dass er es ihm gleichtun sollte.
    Ivan griff in seine Innentasche, zog eine Karte hervor und reichte sie Joel. »Hier kannst du mich außerhalb der Schule erreichen«, erklärte er. »Meine Adresse und Telefonnummer. Ein Handy besitze ich nicht - ich kann diese grässlichen Apparate nicht leiden -, aber wenn ich nicht zu Hause bin, kannst du mir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.«
    Joel drehte die Karte zwischen den Fingern. Er konnte sich nicht vorstellen, wozu er sie je brauchen sollte. Ivan schien genau zu wissen, was der Junge dachte.
    »Vielleicht möchtest du mir ja gelegentlich von deinen Plänen und Träumen erzählen. Wenn du dazu bereit bist, natürlich.« Er trat vom Hauseingang zurück und vollführte einen kleinen Salut. »Also dann. Bis bald, Gentlemen«, sagte er und ging seiner Wege.
    Joel sah ihm einen Moment nach, ehe er die Tür aufschloss. Ivan Weatherall war der seltsamste Mann, dem er je begegnet war, entschied er. Er wusste über jeden irgendetwas - persönliche Dinge -, und trotzdem schien er jeden so zu nehmen, wie erwar. In seiner Gegenwart fühlte Joel sich nicht als Außenseiter, weil Ivan sich niemals so verhielt, als sei an Joel oder dessen Erbanlagen irgendetwas eigenartig. Vielmehr tat Ivan so, als sei die ganze Welt mit Menschen bevölkert, die aus einer Mischung gut vermengter Ethnien, Rassen, Mentalitäten und Religionen bestanden. Wie ungewöhnlich das in Joels Welt war!
    Joel strich mit den Fingern über die geprägten Buchstaben der Visitenkarte. Sixth Avenue 32, las er, und unter Ivan Weatheralls Namen war eine Uhr abgebildet. Joel vertraute dem Himmel an, was er bislang immer für sich behalten

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