Am Ende zählt nur das Leben
Oder hätte ich besser alles beim Alten belassen sollen? Hätte ich mich fügen sollen in eine gescheiterte Ehe? Dann wäre meine Kleine jetzt bei mir.
Schon im Morgengrauen stand ich in der Küche und starrte hinaus.
Den gesamten Tag erlebte ich unter größter Anspannung. Cays Telefon blieb ausgeschaltet. Wie konnte er mir das antun? Wie konnte er so gemein sein? Sarah würde doch nach mir fragen. Warum rief er nicht an? Mein Mäuschen!
Mir war kalt, obwohl es draußen warm war. Ein Sommertag im Juni, und mich fröstelte es wie im Dezember. Vielleicht hatte Robert recht, und ich musste einfach nur abwarten, bis Cay sich meldete.
Unsere Ehe war gescheitert. Das war traurig, aber es bedeutete doch nicht das Ende der Welt. Viele Ehen scheiterten. Aber manche Trennungen enden auch in einer Tragödie, ging es mir durch den Kopf, und ein unerträglicher Druck legte sich über meinen Körper. Ich musste mich dringend beruhigen. Mein Herz pochte bis zum Hals, meine Hände waren eiskalt. Gegen Abend ließ ich mir ein Bad einlaufen. Vielleicht würde mich das ein wenig erwärmen.
Ich lag im Wasser, das Telefon neben mir auf der Ablage. Warum nur rief er nicht an?
Als es unten an der Haustür klingelte, spitzte ich die Ohren und nahm fremde Stimmen wahr. Ich konnte nichts verstehen, aber es klang nach mehreren Männern. Von Anja hörte ich nur seltsame Laute und keine verständlichen Worte.
Das Badfenster stand offen, und die Geräusche der Vögel und eines vorbeifahrenden Autos vermischten sich mit den gedämpften Stimmen aus dem Erdgeschoss. Wenig später kam meine Schwester die Treppe hochgelaufen und stand vor mir. Sie war vom Schrecken gezeichnet. Mein Herz hämmerte gegen die Brust.
»Katja, du musst … du sollst … es ist etwas Schreckliches passiert«, sagte Anja.
»Was ist los?«, fragte ich und starrte in ihr bleiches Gesicht. Warum bebten ihre Lippen, und warum zitterten ihre Hände? Meine eigene Stimme überschlug sich, während ich aus der Wanne stieg.
»Anja, sag mir, was los ist!«
»Du solltest mit mir nach unten kommen.«
»Nun rede endlich! Anja! Was ist passiert?«
»Komm, komm mit mir nach unten.«
»Was ist los?«, drängte ich, und mir wurde heiß und kalt zugleich. Meine Schwester zeigte ein verzweifeltes Gesicht. Sie sollte endlich sagen, was los war!
»Katja, es ist etwas … nun komm schon mit runter … also, es ist … es ist etwas ganz Schlimmes passiert. Mit Sarah. Sie … sie lebt nicht mehr.«
»Nein!«, schrie ich los. Anja stützte mich und reichte mir ein Handtuch. Sie stand hilflos neben mir, und mein Schreien wollte kein Ende nehmen.
»Was … wieso … was ist passiert?«, stammelte ich schließlich.
»Da unten sitzt die Polizei. Sie wird es erklären.«
»Erklären?«
Ich griff nach dem Badehandtuch, und wir versuchten mich darin einzuwickeln. Mein Blick haftete an meiner Schwester, als wollte ich prüfen, ob sie wirklich vor mir stand und ich die schlimmsten Worte meines Lebens tatsächlich aus ihrem Mund hören musste. Was hatte sie eben gesagt? Wieder schrie ich los. Es war ein einziger Krampf, der durch meinen Körper strömte. Warum gab es nichts als diese Schreie, die mein Inneres hervorpresste? Ich begriff es nicht …
Anja schaute an mir vorbei aus dem Fenster. Ich folgte ihrem Blick und sah, wie jemand von der Straße aus zu uns herüberschaute. Ich schrie weiter, und die Person schaute hoch zum Fenster.
»Cay ist auch tot«, sagte meine Schwester mit zitternden Lippen, und ich glaubte mich verhört zu haben. Was hatte das zu bedeuten? Sarah und Cay lebten nicht mehr!?
»Komm bitte runter mit mir. Unten sind der Pastor und zwei Polizisten.«
Irgendwie schaffte ich es die Treppe hinunter. Anja stützte mich. Mein Körper war steif, und nur mit Mühe konnte ich auftreten. Alles fühlte sich wie gelähmt an. Ich konnte kaum schlucken und war zu keinem Laut mehr fähig. Meine Schwester Ramona war seltsamerweise auch hier und saß neben drei Männern. Einen von ihnen kannte ich.
»Guten Tag, Frau B. Wir kennen uns von der Taufe … von der Taufe Ihrer … äh … Tochter«, sagte er in seltsam stockender Art, als müsse er nach jedem Wort suchen. Schon hatte ich ein Bild vor Augen: In der Kirche hielt ich meine Kleine in den Armen, und er taufte sie. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal …
Der Pastor tat einen Schritt auf mich zu, während Anja ihre Hand auf meinen Arm legte, was sich ungewohnt und beängstigend anfühlte. So etwas
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