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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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erklären?
    Anja führte mich zurück ins Haus. Dort saß nun auch meine Mutter und hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben.
    »Was ist passiert?«, fragte ich wie in Zeitlupe einen der Polizisten. Ich wollte endlich verstehen, was geschehen war. Und auch wenn mir der Pastor, die Polizisten, Ramona, Anja es längst gesagt hatten, so war ich nicht in der Lage, die Wortfetzen zu einem Sinn zusammenzufügen. Um mich herum weinte meine Familie, und ich stellte eine Frage, deren Antwort vielleicht alle außer mir längst kannten.
    »Wie es sich darstellt, hat Ihr Mann zunächst Ihre Tochter ertränkt und sich dann später selbst getötet.«
    »Was? Er hat unsere Tochter umgebracht?«
    Ich versuchte zu begreifen. Wie kann ein Vater seine Tochter töten? Cay unsere Sarah?
    »Wo?«
    »Nicht weit von hier entfernt. Er hat ein Hotelzimmer gebucht.«
    In einer Badewanne? Erst gestern hatte er mich gebeten, Sarahs Bademantel und ihre Körpercreme einzupacken, weil er unsere Kleine baden wollte.
    »Möchten Sie, dass wir jetzt die Eltern Ihres verstorbenen Mannes benachrichtigen? Oder sollen wir damit bis morgen warten? Dann haben sie noch eine ruhige Nacht.«
    »Nein, auf keinen Fall bis morgen warten. Sie sollen es sofort erfahren.«
    Der Pastor nickte.
    »Ich habe Angst, dass seine Eltern denken, ich bin an allem schuld«, sagte ich, und alle schauten mich fragend an. Meine Mutter schluchzte. So hatte ich sie noch nie erlebt. Sie schien unter ihren Tränen zusammenzubrechen. Durch einen Schleier aus Ratlosigkeit und Unverständnis starrte ich in die Runde.
    »Er hat sie umgebracht?«, stammelte ich schließlich.
    Alle nickten.
    »Rufen Sie bitte sofort seine Eltern an«, sagte ich in Richtung der Polizisten. Ich wollte es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Während der Beamte in den Hörer sprach, ging ich wieder in den Garten. Ramona gab mir einen Bademantel.
    Irgendwann stand ein Notarzt neben mir und verabreichte mir eine Beruhigungsspritze.
    Wie durch Watte hörte ich den Pastor mit Anja sprechen.
    »Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich noch helfen kann. Ihre Schwester ist hier in guten Händen«, sagte er und verabschiedete sich.
    Bevor ich mich unendlich müde und noch immer im Bademantel zu meinen Eltern ins Auto setzte, bat ich meine Schwester darum, Robert anzurufen.
    »Sag ihm, er soll zu mir kommen. Ich brauche ihn.«
    »Das habe ich schon getan. Er gehört doch zu uns. Robert trifft dich bei Mama und Papa.«
    Ich lag auf dem Sofa, als er klingelte.
    »Gut, dass du kommst«, hörte ich die tränenerstickte Stimme meiner Mutter an der Haustür.
    »Es tut mir so unendlich leid. Mein tiefstes Mitgefühl«, sagte Robert.
    Dann kam er zu mir und nahm mich in den Arm. Im selben Moment kamen meine Tränen. Sie schossen aus der Tiefe meiner Seele hervor. Wir weinten gemeinsam. Er streichelte mein Haar, und ich krallte mich an ihm fest.
    »Ich bin ganz für dich da«, sagte er.
    Nach einer Weile musterte er mich, schaute mir in die Augen und zeigte den prüfenden Blick eines ehemaligen Rettungssanitäters.
    »Katja, du musst etwas trinken. Warte, ich hole dir ein Glas.«
    Schon reichte meine Mutter ihm das Gewünschte, und er schaute zu, wie ich trank.
    »Katja«, sagte er immer wieder und weinte. Er legte einen Arm um meine Schulter und redete sanft auf mich ein.
    »Du brauchst viel Flüssigkeit. Hier, nimm noch einen Schluck, am besten gleich das ganze Glas und dann noch eines. Du bist im Schockzustand.«
    Ich nickte und tat, was er sagte. Dann brachte er mich ins Bett, und ich bat ihn, bei mir zu bleiben. Ich brauchte seine Nähe. So schlief ich irgendwann ein und wollte am liebsten nie wieder aufwachen. Wo war mein Engelchen jetzt?

Wie kann das Leben weitergehen?
    Es war schon lange hell, als mein Handy klingelte und mir einen Schrecken einjagte. Das Geräusch holte mich zurück in die Wirklichkeit und den Schmerz. Suchend tastete ich nach dem Apparat. Robert strich mir sanft über den Rücken. Meine Augen schmerzten von den Tränen der Nacht. Mit zitternden Händen drückte ich die Hörertaste.
    »Hallo?«
    Die Stimme von Cays Vater ertönte; er klang sehr sachlich. Sein Ton irritierte mich. Er klang geradeso, als wäre gestern keine Familientragödie geschehen, sondern ein Allerweltsereignis. Mir fehlten die Worte. Johnny räusperte sich, und ich war froh, ihn in diesem Moment nur am Telefon zu haben und nicht direkt mit ihm sprechen zu müssen. Dieser Mann hatte seinen Sohn und sein Enkelkind verloren.

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