Am Ende zählt nur das Leben
fuhr Klaus zur Polizeistation, um die persönlichen Dinge abzuholen, die sich im Auto befanden. Ich überlegte, was ich mit Cays Papieren machen sollte. Darunter war auch seine Geldklammer mit dreihundert Euro. Die Tasche mit Sarahs Kleidern und ihrem Spielzeug nahm Anja mir ab.
Zur gleichen Zeit wurde mein Engelchen obduziert, weil sie einen gewaltsamen Tod gestorben war. Sie war in einer Klinik, und es würde noch eine Weile dauern, bis alle Untersuchungen abgeschlossen waren.
Meine Mutter weinte unentwegt und bewegte sich wie in Trance durchs Haus. Sie sah so unendlich traurig aus. Ihre Augen waren geschwollen, und Hilflosigkeit sprach aus ihrem Blick und ihrer Körperhaltung. Sie wirkte schwer angeschlagen.
Als Nächstes musste die Beerdigung vorbereitet werden. Ich stand vor der schweren Aufgabe, einen Sarg für meine Tochter auszusuchen. Meine Eltern wollte ich nicht dabeihaben, denn ihre Betroffenheit war zu viel für mich. Wenn ich sie weinen sah, versank auch ich in einem lähmenden Schmerz. Meine Mutter stellte in ihrer Verzweiflung manchmal Fragen, auf die niemand eine Antwort wusste, am allerwenigsten ich in meiner jetzigen Lage. Es war schwer auszuhalten.
»Und ich dachte immer, Cay liebt seine Tochter. Ich dachte, er passt auf sie auf. Wie kann er so etwas tun?«, fragte sie einmal in den Raum hinein, und ich wäre am liebsten davongelaufen.
Meine Schwester Anja musste wieder arbeiten, und so klammerte ich mich an Robert, der mir Kraft für die anstehenden Aufgaben gab. Er tat alles, um mir zur Seite zu stehen.
Als ich am Bankautomaten kein Geld mehr abheben konnte, dachte ich an Johnnys Worte. Robert stand neben mir.
»Ich bekomme kein Geld mehr. Wie kann das angehen? Ob das etwas mit den Schulden zu tun hat, von denen Johnny gesprochen hat? Ich kann mir nicht erklären, was er damit meinte. Bisher gab es noch nie Probleme, wenn ich etwas abheben wollte.«
»Wie viel Geld war auf dem Konto, als du dir zum letzten Mal die Auszüge angeschaut hast?«
Mir fiel es nicht ein, mein Gedächtnis spielte nicht mehr mit. Sprachlos stand ich vor dem Automaten und tippte erneut unsere Geheimnummer ein. Nichts passierte. Und nun? Warum bekam ich kein Geld? Wovon sollte ich das Bestattungsinstitut bezahlen? Meinen Job in Stuttgart konnte ich unmöglich wieder aufnehmen. Wovon sollte ich leben? Die Wohnung musste aufgelöst werden. Wovon sollte die Miete bezahlt werden? Wie war doch gleich der Name der Vermieterin? Ich musste sie anrufen. Mir schlotterten die Knie.
»Nun beruhige dich, Katja. Es wird sich eine Lösung finden.«
»Welche denn?«
»Schritt für Schritt werden wir herausfinden, was zu tun ist. Vielleicht sollten wir nach Stuttgart fahren, um vor Ort die Dinge zu klären.«
»Jetzt?«
»Das wird das Beste sein, denke ich. Ich habe aber nur noch zwei freie Tage. Vielleicht finden wir einen günstigen Flug von Hamburg.«
»Johnny hatte etwas von Witwenrente gesagt.«
Von geliehenem Geld kauften wir zwei Tickets und flogen nach Stuttgart. Vor der Haustür angekommen, erschien mir alles fremd. Hatte ich wirklich hier gelebt?
Der Postkasten quoll über. Als wir die Wohnung betraten, war ich geschockt von der Unordnung in den Räumen. Hier war alles gründlich durchsucht worden. Ich fing sofort mit dem Aufräumen an, stopfte die Waschmaschine voll und wirbelte mit Putzlappen umher. Ich musste etwas tun. Überall lagen Sarahs und Cays Sachen herum. Robert öffnete die Briefumschläge und sortierte.
»Wir schaffen das! Aufräumen kannst du später. Lass uns besser das Organisatorische erledigen«, sagte er.
»Mit der Vermieterin habe ich abgemacht, die Wohnung in einen ordentlichen Zustand zu bringen, damit sie Nachmieter zur Besichtigung hereinlassen kann.«
»Ja, entschuldige. Wir können die ganze Nacht durcharbeiten, wenn es sein muss.«
Die letzte Miete war nicht mehr abgebucht worden, wie sich herausstellte. Mir wuchsen die finanziellen Probleme über den Kopf. Welche Ordner die Polizei mitgenommen hatte, konnte ich auf den ersten Blick nicht sagen. Im Schreibtisch fand ich Cays Arbeitsvertrag. Nie zuvor hatte ich in diesen Vertrag geschaut. Warum denn auch? Ich hatte meinem Mann vertraut. Ich dachte immer, es gäbe keine Geheimnisse zwischen uns.
Wie ich im Vertrag las, gab es mit seinem Arbeitgeber Vereinbarungen, die in meiner jetzigen Lage von Bedeutung waren. Dort war genauestens aufgeführt, dass der Witwe zunächst drei Monatsgehälter zur Verfügung standen.
Robert und ich
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