Am Ende zählt nur das Leben
der Zeitung. Ich war schuld.
»Katja, es tut mir so leid«, sagte Philipp.
»Wer steckt dahinter? Wer hat der Presse die Informationen gegeben? Woher kommt das private Foto, das Sarah und dich im Schnee zeigt?«, fragte Robert in den Raum hinein.
Ich schüttelte nur mit dem Kopf und hoffte inständig, dass in meiner Heimat niemand diesen Artikel las. Das war zum Glück eher unwahrscheinlich, denn es handelte sich um ein Lokalblatt. Als ich mich ein klein wenig gefangen hatte, grübelte ich darüber nach, wer dahinterstecken mochte. Meine Angehörigen stellten Spekulationen an. Doch es führte zu nichts. Woher sollten wir wissen, wer mit der Presse gesprochen hatte? Ich stand kurz vor einem Zusammenbruch. Was dachten meine Stuttgarter Freunde und Bekannten jetzt wohl über mich? Mein Gott, was musste ich noch alles ertragen?
Für den nächsten Tag hatte Petra sich angekündigt, um ihr Fahrrad abzuholen. Es stand seit Monaten im Keller, weil Cay es sich für eine Tour ausgeliehen hatte.
Als es am Nachmittag klingelte, zuckte ich vor Schreck zusammen. Wenn doch nur bald alles vorbei wäre! Ich ging mit Robert an die Tür, wo Petra ein wenig abseits im Treppenhaus stand. Ich begriff, dass sie nicht hereinkommen wollte, und auch mir war es recht, wenn wir nur kurz und ungestört miteinander sprachen. Wir hatten uns länger nicht gesehen. Seit sie in einer Zweigstelle der Firma arbeitete, war sie aus meinem Blickfeld verschwunden.
»Es ist alles so entsetzlich, mein Beileid«, sagte sie und nahm mich kurz in den Arm.
»Ich verstehe es einfach nicht. Wie konnte das passieren?«, fragte ich sie, ohne eine Antwort zu erwarten. Petra kannte Cay seit vielen Jahren und damit sicher besser als manch anderer. Vielleicht sogar besser als ich.
»Er konnte anscheinend nicht mehr. Das war zu viel für ihn.«
»Was war zu viel? Wie meinst du das?«
»Na, die Trennung und dass du oben bleiben wolltest. Das war einfach zu viel. Cay war früher schon in Behandlung gewesen. Bestimmte Belastungsgrenzen durften bei ihm nicht überschritten werden.«
»Behandlung?«
»Wusstest du das etwa nicht?«
Ein Schrecken durchfuhr mich. Wovon sprach sie? Robert schaute mich an, und Petra schien nach Worten zu suchen. Ich war vollkommen überrascht.
»Hast du das denn nie mitbekommen? Er war doch oft so … so … wie soll ich sagen? So schwankend in seinen Stimmungen und so nervös. Eigentlich fand ich, dass es in letzter Zeit besser geworden war. Ich dachte, er hat das Schlimmste überwunden.«
»Ich weiß nicht, na ja, er hat manchmal diese komischen Entspannungsübungen gemacht.«
»Du meinst sein seltsames Strecken und Zucken? Das war früher viel schlimmer.«
»Aber welche Behandlung meinst du denn?«
»Also, wie soll ich sagen …« Petra druckste herum und schien überrascht von meiner Ahnungslosigkeit. Sie konnte sich offenbar nicht vorstellen, dass ich als seine Ehefrau nichts von seiner Behandlung wusste. Aber so war es! Ich hörte hier und jetzt zum ersten Mal davon.
»Also, das war keine Behandlung wegen normaler Übermüdung oder Überforderung. Es war wegen seiner Psyche.«
»Er war psychisch krank?«
»Cay hatte doch schon immer Probleme gehabt, besonders mit hohen Anforderungen. Auch vonseiten seiner Familie. Sie hatten sich mehr von ihm erwartet. Er hätte mindestens Arzt werden sollen, am besten Chirurg und kein Versicherungsmakler. Ihm ging es zeitweilig richtig schlecht.«
»Aber das ist doch kein Grund … ich meine, das, was er getan hat, war wahnsinnig. Er kann doch nicht normal gewesen sein. Das hat auch die Polizei gesagt. Erweiterter Suizid deutet auf eine psychische Krankheit hin«, sagte ich und kam mir im selben Moment noch ahnungsloser und zugleich hintergangen vor. Alle Welt schien mehr zu wissen als ich.
»Solange ich ihn kenne, hatte er mit Problemen zu kämpfen. Er hatte auch schon immer Schulden und jonglierte ständig mit irgendwelchen Konten und Krediten herum. In seinen guten Phasen hat er das Geld mit vollen Händen ausgegeben und sich total selbst überschätzt. Und als erfolgreicher Versicherungsmakler hat man Zugang zu großzügigen Dispositionskrediten. Das hat er voll ausgenutzt. Ich habe ihm doch auch Geld geliehen. Deshalb gibt es auch das Konto, in dem ich als Begünstigte eingetragen bin.«
Ich nickte, obwohl ich Petra kaum folgen konnte. Sie sprach von seinen Schulden, als wären sie die selbstverständlichste Sache der Welt. Er jonglierte mit Krediten? Warum wusste ich nichts
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