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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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wirklich so? Wollte Cay auch mich umbringen? Anja schien davon überzeugt, und nun erzählte sie mir auch, dass Cay sich so merkwürdig verhalten hatte an jenem Vormittag, als er zu unserem Gespräch nach Norddeutschland gekommen war. Offenbar hatte er gehofft, mich allein mit unserer Tochter anzutreffen, und war verwirrt gewesen, als er dabei auch auf Anja traf. Die Polizei hatte mehrere Seile in seinem Auto gefunden. Was wollte er damit? Woher hatte er diese Seile? Wir hatten nie Seile im Kofferraum oder sonst wo aufbewahrt. Ich dachte über ihre Worte nach. Ich dürfe mich nicht unterkriegen lassen, hatte sie gesagt – aber wie sollte das gehen? Woher sollte ich die Kraft dafür nehmen? Ratlos versuchte ich mich an ihre Wut zu klammern, aber es wollte mir nicht gelingen.
    »Ich kann nicht mehr!«, sagte ich und ließ den Kopf hängen.
    Da packte meine Schwester mich an den Schultern und rüttelte mich.
    »Wenn du jetzt aufgibst, dann hat er gekriegt, was er wollte. Katja, das Leben geht weiter. Dein Leben geht weiter. Reiß dich zusammen.«
    Als ich Robert von diesem Gespräch erzählte, nickte er heftig mit dem Kopf und pflichtete meiner Schwester bei. Auch er brachte Argumente für ein Weiterleben vor, die in meinen Ohren hart klangen, aber sicher richtig waren.
    »Wir müssen es so akzeptieren, wie es ist. Es lässt sich nicht mehr ändern«, sagte er nicht zum ersten Mal.
    »Was meinst du damit?«, wollte ich von ihm wissen.
    »Wir müssen nach vorne schauen.«
    Aber wie sollte ich nach vorne schauen, wenn ich mein Kind verloren hatte? Meinen Schatz! Mein Ein und Alles.
    Doch dann dachte ich an meine Mutter, die immer nur zurückschaute und sich zudem Vorwürfe machte. Sie hatte es angeblich schon immer gespürt, dass mit Cay etwas nicht stimmte, behauptete sie. Diese Aussage schien sie selbst am allermeisten zu schmerzen.
    »Wir hätten dich schützen müssen. Du bist doch unser Kind«, hatte sie kürzlich unter Tränen hervorgebracht.
    »Aber Mama!«
    Einmal hatte ich meine Mutter mit der Pastorin auf der Hofeinfahrt sprechen gehört. Das Küchenfenster war offen gewesen, und so hatte ich jedes Wort verstanden.
    »Wir haben unsere vier Kinder immer beschützt und umsorgt. Und dann kommt ein Fremder und zerstört das alles. Er hat alles kaputt gemacht. Er hat sie ermordet«, hatte sie geschluchzt.
    Ich konnte es nicht ertragen, meine Mutter so zu erleben. Ihre Trauer schien endlos.
    »Warum kommt sie nicht zurück? Ob ich sie vielleicht eines Tages da oben wiedersehe? Sie ist tot, aber vielleicht ist es dort, wo Sarah jetzt ist, schön. Dort wartet sie auf uns«, sagte sie zur Pastorin.
    Mein Vater sagte kaum etwas und litt wortlos vor sich hin.
    Doch jede Sache muss besprochen werden, überlegte ich und war doch selbst kaum fähig dazu. Möglicherweise hatte Robert recht, aber wie sollte das gehen? Wie sollte ich nach vorne schauen? Wie sollte ich weiterleben? Wenn ich im Bett lag, stellte ich mir häufig vor, mein Mäuschen wäre noch im Urlaub und käme ganz bald wieder. Manchmal hörte ich sogar ihr Lachen, hörte Autotüren klappen und bildete mir ein, sie wäre zurück. Mein Engelchen kam zurück. Alles war wieder gut.
    Dann war es an der Zeit, die Wohnung in Stuttgart an die Vermieterin zu übergeben. Stück für Stück löste sich mein früheres Leben in nichts auf.
    Schließlich fuhren wir mit sechs Personen nach Stuttgart, um die Wohnung aufzulösen und meine Sachen abzuholen. Anja und Klaus nahmen einen Transporter, meine Eltern fuhren mit dem Zug und Robert und ich mit einem Mietwagen, weil wir beide früher dort sein wollten, um alles vorzubereiten. Robert und ich quartierten uns in einer Pension ein. Meine Familie übernachtete bei Freunden von mir. Vorab hatten wir eine Zeitungsannonce geschaltet, um die Haushaltsauflösung bekannt zu geben, aber es war zu kurzfristig, und nur wenige Interessierte erschienen. Innerhalb von zwei Tagen räumten wir alles leer, verkauften und verschenkten Mobiliar und Kleidung und strichen die Wände.
    Cays ehemaliger Kollege Louis kam uns zu Hilfe. Er fuhr mit einem Transporter vor und übernahm eine Tour mit Möbeln und anderen Gegenständen, die wir an die Caritas verschenkten. Louis war eine große Hilfe, denn im Gegensatz zu meiner Familie kannte er sich gut aus in Stuttgart. Er hatte unendliches Mitleid mit mir. Das spürte ich aus jeder seiner Gesten und jedem Wort. Er fühlte mit mir und wollte mir wenigstens ein klein wenig meiner Last abnehmen. Cay und

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