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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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zu überreden. Ich müsse doch auch mal raus, sagte er. Es würde mich vielleicht ablenken und auf andere Gedanken bringen. Ihm zuliebe ging ich schließlich mit. Als wir die Fußgängerzone erreichten, war ich mir sicher, jeder Zweite hatte die Zeitung gelesen und wusste, dass es sich in dem Artikel um mich handelte. Jeder konnte sich denken, dass es sich bei dem getöteten Mädchen um meine Tochter handelte. Und Cay war in der Stadt ohnehin bekannt. Selbst wenn er schon seit vielen Jahren in Süddeutschland lebte, so hatte er doch Kontakte gepflegt und war regelmäßig zu Besuch gekommen. Viele hatten uns gekannt, auch wenn wir nicht mehr hier gelebt hatten. Sicher hatten alle von den Geschehnissen gehört. Mir kam es so vor, als würden die Blicke der Passanten auf den Straßen mich durchbohren. Robert hatte alle Hände voll zu tun, mich zu beruhigen und mir dieses Gefühl auszureden. Wir trafen gleichaltrige Freunde, die wegen der Fußballweltmeisterschaft in Feierlaune waren. Manche hatten sich schwarz-rot-goldene Streifen aufs Gesicht gemalt. Als ich auftauchte, verstummten sie für einen kurzen Moment, manche nahmen mich in den Arm. Was mochten sie über mich denken? Gaben auch sie mir die Schuld an der Katastrophe? Selbstzweifel quälten mich. Am liebsten wäre ich davongerannt, aber niemand stellte Fragen, und keiner sprach mich auf den Artikel an. Vielleicht hatte ihn auch niemand gelesen. Es gab erfreulichere Nachrichten. Meine Bekannten wirkten unbekümmert und seltsam gleichgültig. Ihr Lachen erschien mir beinahe fremd. Wann hatte ich das letzte Mal gelacht? Immerhin lenkte die WM -Stimmung mich für einen Moment von meinen Sorgen ab. Vor den Kneipen und auf den Plätzen flimmerten Bildschirme und Leinwände. Immer mehr Menschen strömten an diesem schönen Sommerabend in die Innenstadt und drängten zu den Bierständen. Niemand wollte diese WM allein vor dem heimischen Fernseher erleben. Das Public Viewing hatte enorme Ausmaße angenommen. Diese Information war selbst zu mir durchgedrungen, und nun sah ich es mit eigenen Augen. Auch wenn ich mich nicht auf das Spiel konzentrieren konnte, so war ich zumindest unter fröhlichen Menschen, die mich an ein normales Leben erinnerten. Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an. Schon bald hielt ich es nicht mehr aus unter Menschen und wollte nach Hause gehen. Dort zog ich mir wieder die Decke über den Kopf.
    »Robert, ich mag nicht mehr.«
    »Was magst du nicht mehr?«
    »Leben.«
    Irgendwann schlief ich in seinen Armen ein. Der nächste Morgen fühlte sich ein wenig besser an. Aber als ich an den Artikel dachte, drehte sich wieder mein Magen um. Am Mittag kam Anja und rüttelte mich wach .
    »Lass dich nicht einschüchtern! Du verkriechst dich jetzt nicht! Dann hat er doch das erreicht, was er wollte. Du lässt dir dein Leben nicht von ihm zerstören«, wiederholte Anja immer wieder.
    »Von wem?«
    »Von Cay!«
    Ich ahnte mehr denn je, wie recht sie hatte, aber es fiel mir unendlich schwer, mich aufzurappeln. Dann dachte ich an all die anstehenden Aufgaben. Ich musste mich um meine Witwenrentenansprüche kümmern, mich beim Arbeitsamt melden, ein Bankkonto eröffnen und Rechnungen bezahlen. Die rechtliche Situation war kompliziert. Cay hatte unsere Tochter getötet und dann sich selbst. Aus welchem Grund? War er krank? War er versichert gewesen? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen zahlte die Versicherung?
    Robert sprach mit einem Anwalt, den er indirekt über seine Firma kannte. Persönlich waren sie sich noch nicht begegnet. Dieser Mann erwies sich als wahrer Glücksgriff für mich. Er hörte mir aufmerksam zu und zeigte ein enormes Mitgefühl. Dann setzte er alle Hebel in Bewegung, um uns zu helfen. Als ich ihm den Zeitungsartikel zeigte, war er empört.
    »Sie sollten auf einer Gegendarstellung bestehen. Wenn Sie möchten, dann kümmere ich mich um einen Kontakt zur Redaktion.«
    »Meinen Sie, es wird etwas nützen?«
    »Es ist in jedem Fall eine Möglichkeit, die Ereignisse aus Ihrer Perspektive zu schildern. Außerdem finde ich es unverantwortlich, eine derart miese Version abzudrucken.«
    Nach einigen Telefonaten zur Terminabsprache stand jene Redakteurin vor meiner Tür, unter deren Namen der Artikel erschienen war. Wut stieg in mir auf, und ich musste mich daran erinnern, ihr möglichst sachlich meine Version zu vermitteln. Wir grüßten uns kurz, und ich bat sie auf die Terrasse hinter meinem Elternhaus.
    »Bevor wir beginnen, möchte ich von

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