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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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Ihnen wissen, wie Sie überhaupt auf diese abscheuliche Version der Geschichte gekommen sind?«, fragte ich sie. In mir kochte es.
    »Ich habe den Artikel, der in Stuttgart erschienen ist, übernommen, weil er einen direkten Bezug zu unserer Region hat.«
    »Und das reichte Ihnen? Der direkte Bezug zur Region? Sie sahen keinen Grund, mit der betroffenen Witwe zu sprechen? Sie haben nicht im Geringsten recherchiert. Kein Journalist hat mich jemals befragt, weder in Stuttgart noch hier. Niemand hat irgendwelche Nachforschungen angestellt. Stattdessen werde ich in der Zeitung als Ehebrecherin und geldgierige Person dargestellt. Ich habe meine Tochter verloren. Wissen Sie überhaupt, was das bedeutet? Haben Sie selbst Kinder?«
    »Ja.«
    »Ich kann Sie wirklich nicht verstehen. Können Sie mir das bitte erklären? Es macht mich total wütend. Versuchen Sie doch mal, sich in meine Situation zu versetzen. Mir ist das Liebste auf der Welt genommen worden, und dann werde ich auch noch verleumdet. Sie rauben mir die letzte Kraft.«
    Die Redakteurin blieb kühl, während ich meine Wut an ihr ausließ. Nur mit Mühe konnte ich mich im Zaum halten.
    »Bitte schildern Sie mir Ihre Version«, bat sie mich schließlich.
    In aller Kürze erzählte ich ihr die wichtigsten Details. Dabei hielt ich ihren Artikel in der Hand und versuchte die dreisten Lügen und Verzerrungen im Text richtigzustellen. Satz für Satz hangelte ich mich durch die Absurditäten.
    Nach einer halben Stunde war sie schon wieder verschwunden. Ich hoffte, nichts vergessen und keinen allzu schlechten Eindruck gemacht zu haben. In den nächsten Tagen blätterte ich die Zeitung von vorn bis hinten durch. Und dann fand ich ihren Artikel, der weder meinen Namen nannte noch ein Foto zeigte und im Weitesten meine Ausführungen widerspiegelte. Ob es mich beruhigte, konnte ich kaum sagen. Es ist schwer, den harten Stein böser Worte glatt zu schleifen. Doch wenigstens hatte ich etwas getan, und wenigstens waren die verdrehten Tatsachen zurechtgerückt worden. Es war eine gute Idee vom Rechtsanwalt gewesen. So konnte ich dieses Kapitel – die öffentliche Anprangerung – wenigstens ein wenig beiseiteschieben.
    Und dann stand Anja plötzlich vor mir. Beinahe freudestrahlend meinte sie, nun sei die Zeit gekommen, den Geburtstag meiner Nichte Nele nachzufeiern. Am Tag nachdem man Sarah tot aufgefunden hatte, war Nele zehn Jahre alt geworden, und in der Woche zuvor war ihr zehnter Geburtstag unser Hauptgesprächsthema gewesen. Auch Sarah hatte sich darauf gefreut: Debordsdag! Anja hatte die Feier selbstverständlich abgesagt. Mit einer Telefonkette hatten die Eltern es weitergegeben, weil etwas ganz Schlimmes passiert war. Aber nun sollte das große Ereignis nachgeholt werden.
    »Und du feierst mit!«, sagte meine Schwester und duldete keine Widerrede. »Du wolltest im Juni mitfeiern und hattest es Nele versprochen. Und nun bist du auch dabei!«
    »Meinst du wirklich?«
    »Ja, das meine ich.«
    »Mir ist nicht nach Feiern zumute. Was soll ich da? Ich bin ein Trauerkloß und keine gute Gesellschaft für einen Kindergeburtstag.«
    »Nele wird zehn! Das ist nicht irgendein Geburtstag. Zehn! Verstehst du? Sie möchte unbedingt, dass du dabei bist. Neinsagen gibt es nicht.«
    »Ist ja schon gut.«
    Es kamen ein Dutzend Kinder zur Gartenparty und feierten mit allem, was dazugehörte. Anja und ich bereiteten Spiele vor, machten das Essen und halfen den Kindern beim Aufbau ihrer Zelte, in denen sie übernachten wollten. Anja und ich legten uns später zum Schlafen auf die Terrasse. Dort richteten wir uns eine kuschelige Ecke ein und versprachen den Kindern, das Zeltlager zu bewachen .
    Es war eine milde Nacht, und der Geburtstag entpuppte sich als gute Ablenkung für mich. Unterm Sternenhimmel unterhielten Anja und ich uns mit leisen Stimmen. Wenn es ums Reden ging, dann nahm meine Schwester kein Blatt vor den Mund. Ihre Offenheit war manchmal hart, aber ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie fast immer recht hatte und ihre Sichtweise mir guttat. Meistens spürte ich instinktiv, wenn sie mit ihren Mutmaßungen auf der richtigen Fährte war. Und auch ihr schienen unsere Gespräche zu helfen.
    »Katja, weißt du, was das Schlimmste für mich ist, seitdem Sarah nicht mehr da ist?«
    Mich durchfuhr sofort ein Stich. Wenn ich nur ihren Namen hörte, bekam ich Herzklopfen.
    »Was denn?«, flüsterte ich.
    »Ich stelle mir manchmal vor, wie sie gelitten haben muss, als er sie

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