Am ersten Tag - Roman
sein Leichnam abgeholt worden war, betrat ich sein Schlafzimmer und sah die zerknitterten Laken. Und ich stellte mir vor,
wie er an diesem Morgen aufgestanden war. Ich sah ihn die ersten Schritte tun, nachdem er das Bett verlassen hatte, den Vorhang zur Hälfte aufziehen, um zu sehen, wie das Wetter draußen war. Das war ein Ritual für ihn, wichtiger als alle Nachrichten, die er anschließend in seiner Zeitung lesen konnte. Ich fand die Kaffeetasse im Spülbecken, die Butter stand noch auf dem Küchentisch, daneben ein halb gegessenes Brot. Beim Anblick dieser Alltagsgegenstände, eines Buttermessers zum Beispiel, wird einem erst richtig bewusst, dass jemand gegangen ist und nie mehr zurückkehrt. Ein albernes Buttermesser, das für immer die Kerbe der Einsamkeit in unser Leben schlägt.«
Während ich Keira zuhörte, wurde mir klar, warum ich ihren Anhänger mit nach Griechenland genommen hatte, warum er seit dem Tag, da sie ihn auf meinem Nachtkästchen liegen ließ, nie mehr meine Tasche verlassen hatte.
Am frühen Abend erreichten wir das Dorf. Als Keira aus dem Wagen stieg, spürten die Mursi sofort, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Diejenigen, die sich auf dem Platz befanden, blieben unvermittelt stehen. Keira sah sie unter Tränen an, doch niemand kam, um sie zu trösten. Ich öffnete die hintere Tür und holte den Leichnam des Dorfältesten heraus. Ich legte ihn vorsichtig auf den Boden und senkte den Kopf zum Zeichen der Andacht. Ein Klagen erhob sich in der Versammlung. Die Frauen reckten die Arme gen Himmel und stießen Schreie aus. Die Männer näherten sich langsam ihrem leblosen Oberhaupt. Der Sohn hob die Decke und strich dem Vater über die Stirn. Mit verschlossenem Gesicht richtete er sich wieder auf und starrte uns finster an. Ich konnte in seinen Augen lesen, dass wir hier nicht mehr willkommen waren. Sie wollten überhaupt nicht wissen, was genau geschehen war - ihr Oberhaupt war lebend mit uns aufgebrochen, und wir brachten ihn
tot zurück. Ich konnte deutlich spüren, wie die Feindseligkeit uns gegenüber mit jedem Augenblick wuchs, und so nahm ich Keira beim Arm und führte sie langsam zu unserem Wagen.
»Dreh dich nicht um«, raunte ich ihr zu.
Als wir in den Jeep stiegen, kamen die Dorfbewohner auf uns zu und scharten sich um das Fahrzeug. Eine Lanzenspitze prallte von der Motorhaube ab, eine zweite riss den Seitenspiegel weg, und Keira konnte mich gerade noch warnen, in Deckung zu gehen, als eine dritte gegen die Windschutzscheibe schlug und einen Riss hinterließ. Ich legte den Rückwärtsgang ein, der Wagen machte einen Satz nach hinten, ich wendete und brauste mit Vollgas davon.
Die wütende Menge folgte uns nicht. Zehn Minuten später erreichten wir das Zeltlager. Als Eric den beschädigten Jeep und Keiras aschfahles Gesicht sah, kam er besorgt herbeigeeilt, und ich berichtete ihm von dem Unglück. Das ganze Archäologenteam versammelte sich am Lagerfeuer, um zu beraten, was zu tun sei.
Alle waren sich einig, dass die Zukunft der Gruppe auf dem Spiel stand. Ich schlug vor, am nächsten Tag ins Dorf zurückzukehren, mich »wie ein Gentleman« mit dem Sohn des Stammeschefs zu unterhalten und ihm zu erklären, dass wir keine Schuld an dem traurigen Ableben seines Vaters trügen.
Mein Vorschlag brachte Eric auf und zeigte, wie wenig ich vom Ernst der Situation begriffen hatte. Wir befänden uns nicht in London, schimpfte er, der Zorn der Dorfbewohner ließe sich nicht bei einer Tasse Tee besänftigen. Der Sohn des Stammeschefs suche einen Schuldigen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis das Lager die ersten Vergeltungsmaßnahmen zu spüren bekäme.
»Ihr müsst euch in Sicherheit bringen«, sagte Eric. »Ihr müsst beide verschwinden.«
Keira stand auf und entschuldigte sich bei ihren Kollegen, sie fühle sich nicht gut. Im Vorbeigehen bat sie mich, anderswo zu schlafen, sie wolle allein sein. Ich verließ die Versammlung und folgte ihr.
»Du kannst stolz auf dich sein, du hast alles zerstört«, sagte sie, ohne den Schritt zu verlangsamen.
»Herrgott noch mal, Keira, ich hab den alten Mann doch nicht umgebracht!«
»Wir können den Seinen nicht einmal erklären, woran er gestorben ist. Und ich werde die Ausgrabungsstätte verlassen müssen, um ein allgemeines Blutbad zu verhindern. Du hast meine ganze Arbeit, meine Hoffnungen zunichtegemacht, ich habe meinen Posten verloren, und Eric wird sich insgeheim freuen, meine Nachfolge anzutreten. Wenn ich dich
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