Am ersten Tag - Roman
und ich konnte endlich etwas schneller fahren. Vier Stunden später bat mich der Dorfälteste anzuhalten. Er stieg aus dem Wagen und entfernte sich. Keira und ich folgten ihm, bis wir den Rand eines Felsens erreicht hatten. Der alte Mann deutete auf das Flussdelta und den Turkana-See, der sich über mehr als zweihundert
Kilometer erstreckte. Von seinen drei Vulkaninseln war nur die am nördlichsten gelegene sichtbar. Wir würden noch ein Weilchen fahren müssen, bis wir an unserem Ziel angelangt wären.
Am kenianischen Ufer flogen ganze Kolonien rosafarbener Flamingos auf und beschrieben anmutige Schleifen am Himmel. Die Sedimente in den Lagunen gaben dem Wasser eine bernsteinähnliche Färbung, die weiter entfernt ins Grüne überging. Jetzt verstand ich besser, warum man ihn auch Jadesee nannte.
Zurück im Jeep, nahmen wir einen Schotterweg, um den nördlichen Teil des Sees zu erreichen. Kilometerlang begegneten wir keiner Menschenseele. In der Ferne war nur eine Herde Antilopen zu sehen. An manchen Stellen reflektierte die salzhaltige Erde derart das Sonnenlicht, dass wir regelrecht geblendet wurden. Anderswo begann eine Andeutung von Vegetation die Wüste zu erobern - aus einer Landschaft hoher Gräser ragte der Kopf eines verirrten Büffels.
Ein Schild zeigte mitten im Nirgendwo an, dass wir uns in Kenia befanden. Wir durchquerten ein Nomadendorf, ein paar Lehmhäuser deuteten daraufhin, dass einige sesshaft geworden waren. Um ein Felsenplateau zu umgehen, entfernte sich die nicht enden wollende Piste vom Ufer, und wir verloren den See für eine Weile aus den Augen.
»Bald erreichen wir Koobi Fora«, sagte Keira.
Koobi Fora ist eine Halbinsel mit einer archäologischen Ausgrabungsstätte, die von Richard Leaky, einem Anthropologen, entdeckt wurde, dessen Arbeit Keira sehr bewunderte. Er hatte Hunderte von Fossilien gefunden, darunter Skelette von Australopithecinen sowie zahlreiche Steinwerkzeuge. Die wichtigste Entdeckung aber war die von den Resten des Homo habiles , dem direkten Vorfahren des Menschen, der vor ungefähr zwei Millionen Jahren lebte. Während wir diesen Ausgrabungsort
passierten, drehte sich Keira um. Sicher träumte sie in jenem Augenblick davon, dass Reisende eines Tages eine von ihr entdeckte Stätte sehen würden.
Eine Stunde später waren wir fast am Ziel angelangt. Am Ufer des Sees hielten sich mehrere Fischer auf. Der Stammeschef wandte sich an sie und organisierte uns ein kleines Boot, sogar mit Außenbordmotor. Er selbst wollte lieber am Ufer bleiben. Er hatte die lange Reise angetreten, um ein letztes Mal in seinem Leben diese magische Landschaft zu betrachten.
Während wir uns von der Küste entfernten, bemerkte ich in der Ferne eine Staubwolke, wohl von einem fahrenden Wagen, doch dann heftete ich meinen Blick gleich wieder auf die mittlere Insel, die auch »Insel mit dem lustigen Gesicht« genannt wurde, weil sich drei ihrer Krater wie zu einem Augenpaar und einem Mund formten. Die kleine Insel zählte insgesamt nicht weniger als zwölf Krater. In den drei größten befand sich jeweils ein kleiner See. Kaum waren wir an dem schwarzen Sandstrand gelandet, scheuchte mich Keira einen steilen Hang hinauf. Der Basalt bröckelte unter unseren Sohlen. Wir brauchten fast eine Stunde, bis wir den Kraterrand des Vulkans erreicht hatten. In dreihundert Meter Höhe war der Blick in die Tiefe geradezu atemberaubend. Ich konnte nicht umhin, mir vorzustellen, dass unter diesen stillen Wassern ein Monster von unendlich zerstörerischer Kraft lauerte.
Um mich zu beruhigen, erklärte mir Keira, der letzte Vulkanausbruch liege eine Ewigkeit zurück. Mit einem spöttischen Lächeln aber fügte sie hinzu, im Jahr 1974 hätte der Krater einen übelriechenden Dampf ausgespien. Es sei kein Ausbruch im eigentlichen Sinne gewesen, doch die Schwefelwolken wären bis zum Ufer des Sees sichtbar gewesen. Waren es diese Erschütterungen gewesen, die den Anhänger, den sie am Hals trug, aus den Eingeweiden der Erde ans Licht gebracht
hatten? Und wenn dies der Fall war, wie lange hatte er dort geruht?
»Hier hat Harry ihn gefunden«, sagte Keira. »Hilft dir das irgendwie weiter?«
Ich holte mein GPS-Gerät aus dem Rucksack und las die angegebene Position ab. Wir befanden uns 3° 29’ N, 36° 04’ 0.
»Hast du gefunden, was du suchst?«
»Noch nicht«, erwiderte ich. »Wenn ich wieder in London bin, werde ich eine ganze Reihe von Berechnungen anstellen müssen.«
»Wozu?«
»Um den Sternenhimmel,
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