Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
nicht zu deiner verfluchten Insel begleitet hätte, wäre das alles nicht passiert. Du hast recht, es ist nicht deine Schuld, sondern allein meine.«
    »Ich verstehe nicht, was ihr habt! Wir tragen doch keine Schuld an der Sache. Der Mann ist an Altersschwäche gestorben, er wollte noch einmal den See sehen, und wir haben ihm die Möglichkeit gegeben, seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Ich kehre noch heute Abend ins Dorf zurück, um mich mit ihnen zu unterhalten.«
    »Und in welcher Sprache bitte? Sprichst du neuerdings Mursi?«
    Mit meiner eigenen Ohnmacht konfrontiert hüllte ich mich in Schweigen.
    »Morgen früh fahre ich dich zum Flughafen. Ich bleibe eine Woche in Addis Abeba in der Hoffnung, dass sich die Situation hier allmählich beruhigt. Wir brechen bei Sonnenaufgang auf.«
    Keira trat in ihr Zelt, ohne mir eine gute Nacht zu wünschen.
Ich hatte nicht die geringste Lust, mich wieder zu der Gruppe zu gesellen. Die Archäologen saßen noch immer rund um das Lagerfeuer und debattierten über ihre Zukunft. Gesprächsfetzen drangen zu mir herüber, die bewiesen, dass Keira recht hatte. Eric spielte sich als Gruppenleiter auf. Welche Position würde ihr bei ihrer Rückkehr bleiben? Ich nahm den Weg zum Hügel, ließ mich irgendwo am Hang nieder und betrachtete den Fluss. Alles war ganz still. Ich fühlte mich allein und verantwortlich für das Geschehene.
     
    Eine Stunde war verstrichen, als ich Schritte hinter mir hörte. Keira nahm neben mir Platz.
    »Ich kann mich gar nicht beruhigen. Ich habe heute Abend alles verloren, habe keinen Job mehr, keine Glaubwürdigkeit, keine Zukunft. Alles hat sich in Luft aufgelöst. Der Shamal hat mich das erste Mal von hier vertrieben, und du, Adrian, bist wie ein zweiter Sturm gewesen.«
    Wird man von einer Frau mitten in einem Gespräch beim Vornamen genannt, kann man davon ausgehen, dass sie einem etwas vorzuwerfen hat.
    »Glaubst du an das Schicksal, Keira?«
    »Willst du jetzt ein Tarotspiel aus deiner Tasche zaubern und mich eine Karte ziehen lassen?«
    »Ich selbst habe nie daran geglaubt, mir war allein schon der Gedanke zuwider, dass es so was wie ein Los oder Schicksal geben könnte. Denn das hieße ja, dass wir keine freien Entscheidungen treffen und überhaupt nicht über unsere Zukunft bestimmen können.«
    »Ich bin nicht wirklich in der Lage, deiner Pseudophilosophie zu folgen.«
    »Ich glaube nicht an das Schicksal, doch ich habe mir immer schon Fragen über den Zufall gestellt. Wenn du wüsstest, wie
viele Entdeckungen niemals zustande gekommen wären, hätte der Zufall nicht ein wenig nachgeholfen.«
    »Ich habe Aspirin, wenn du willst, Adrian.«
    »Du bist hier, weil du davon träumst, dem ersten Menschen auf die Spur zu kommen, oder? Die folgende Frage habe ich dir schon gestern gestellt, doch du bist ihr ausgewichen. Welches Alter hätte dieser Urmensch in deinen kühnsten Träumen?«
    Ich glaube, Keira antwortete mir mehr aus Trotz denn aus Überzeugung.
    »Wenn der erste Mensch fünfzehn oder sechzehn Millionen Jahre alt wäre, so würde mich das nicht weiter wundern«, erwiderte sie.
    »Und wenn ich dich mit einem Schlag dreihundertfünfundachtzig Millionen Jahre Zeit gewinnen ließe, was würdest du dann sagen?«
    »Dass du heute zu viel Sonne abbekommen hast.«
    »Dann lass es mich anders formulieren. Glaubst du immer noch, dass dieser Anhänger, dessen Alter und Material wir nicht bestimmen können, ein Zufallsprodukt der Natur ist?«
    Ich hatte ins Schwarze getroffen. Keira starrte mich an, und auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck, der mich überraschte.
    »Was du an besagtem Gewitterabend, als bei einem Blitz Millionen von leuchtenden Punkten an die Zimmerwand geworfen wurden, in Wirklichkeit gesehen hast, war der Pelikannebel, eine Wiege von Sternen zwischen zwei Galaxien.«
    »Wirklich?«, fragte Keira perplex.
    »Ja, wirklich, und das ist noch nicht alles. Dieses Stück Himmel, das von deinem Anhänger an die Wand projiziert wurde, ist nicht der, den wir heute über uns sehen, sondern so, wie er vor vierhundert Millionen Jahren war. Wem entspricht das auf deiner geologischen Zeitskala?«

    »Der Entstehung des ersten Lebens auf der Erde«, antwortete sie verblüfft.
    »Ich habe gute Gründe zu glauben, dass es noch andere Objekte gibt, die identisch mit dem Schmuck sind, den du am Hals trägst. Wenn sie alle etwa die gleiche Größe haben und wenn meine Berechnungen stimmen, dann müsste es vier weitere geben, um den gesamten Himmel

Weitere Kostenlose Bücher