Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
Vom Netzwerk:
Tausende von Jahren galten sie als die höchsten Gebäude der Erde, sei es nun die rote Pyramide in der Nekropole Dahshur am Westufer des Nils oder die Cheops-Pyramide, das einzige der sieben Weltwunder der Antike, das noch existiert. Eins jedoch ist erstaunlich: Die wichtigsten Pyramiden wurden in etwa zur selben Zeit errichtet, ohne dass jemand verstanden hätte, wie so weit voneinander entfernte Zivilisationen ähnliche architektonische Modelle hervorbringen konnten.«
    »Vielleicht reiste man zu dieser Zeit mehr, als man heute annimmt«, schlug ich vor.
    »Eben, was du da sagst, ist wahrscheinlich gar nicht so abwegig. Ich habe in der Bibliothek einen Artikel in der Encyclopedia Britannica von 1911 gelesen. Demzufolge geht die Verbindung zwischen Ägypten und Äthiopien auf die zweiundzwanzigste Dynastie der Pharaonen zurück. Ab der fünfundzwanzigsten Dynastie standen beide Länder sogar zeitweilig unter einer Herrschaft, die Hauptstadt beider Reiche befand sich damals in Napata im Norden des heutigen Sudan. Die ersten Zeugnisse einer Verbindung zwischen Äthiopien und Ägypten sind noch älter. Dreitausend Jahre vor unserer Zeit sprachen die
Kaufleute von einem Land namens Punt auf dem Gebiet südlich von Nubien. Die erste nachweisliche Reise nach Punt fand unter der Herrschaft des Pharaos Sahure statt. Aber hör gut zu, Fresken aus dem fünfzehnten Jahrhundert vor Christi, die man im Heiligtum Deir el-Bahari entdeckt hat, zeigen eine Gruppe von Nomaden: Sie bringen Weihrauch, Gold, Elfenbein, Ebenholz und vor allem Myrrhe. Wir wissen auch, dass die Ägypter der frühen Dynastien Myrrhe liebten. Das lässt vermuten, dass der Handel mit den Äthiopiern auf diese Zeit zurückgeht.«
    »Und was hat all das mit deiner chinesischen Pyramide zu tun?«
    »Dazu komme ich gleich. Was wir herzustellen versuchen, ist der Zusammenhang zwischen diesem alten Text und meinem Anhänger. Die auf Ge’ez verfasste Schrift spricht von Pyramiden. Erinnere dich an den dritten Satz: Möge niemand erfahren, wo das Apogäum sich befindet, die Nacht des einen ist die Wächterin des Auftakts. Max hat uns gesagt, hier gehe es nicht um eine wörtliche Übersetzung, sondern um eine Interpretation. Das Wort ›Auftakt‹ könne auch ›Ursprung‹ bedeuten. Das ergibt folgenden Satz: Möge niemand erfahren, wo das Apogäum sich befindet, die Nacht des einen bewacht den Ursprung .«
    »Das ist in der Tat wesentlich eleganter formuliert, aber ich sehe nicht, worauf du hinauswillst.«
    »Mein Anhänger wurde mitten in einem See gefunden, wenige Kilometer entfernt vom Ilemi-Dreieck, dem sagenhaften Land, zwischen Äthiopien, Kenia und Sudan. Und weißt du, wie die Ägypter Punt genannt haben?«
    Ich hatte keine Ahnung, Keira sah mich triumphierend an und beugte sich zu mir.
    »Sie nannten es ›Ta Neteru‹, das ›Land der Götter‹ oder auch ›Land des Ursprungs‹. Durch dieses Gebiet fließt auch
der Blaue Nil, man braucht ihn nur hinunterzufahren und gelangt zur Djoser-Pyramide in Sakkara, der ältesten von Ägypten. Vielleicht ist mein Anhänger über diesen Wasserweg in den Turkana-See gelangt. Aber jetzt zurück zu China, dem ich den zweiten Teil der Nacht gewidmet habe. Wenn das Zeugnis dieses amerikanischen Piloten stimmt - die Existenz der weißen Pyramide ist immer noch umstritten -, dann wäre die, die er fotografiert hat, mit über dreihundert Metern die höchste der Welt.«
    »Sollen wir jetzt nach China ins Qin-Lin-Gebirge fahren?«
    »Das legt vielleicht der in Ge’ez verfasste Text nahe. Die verborgenen Pyramiden in Mittelamerika, Bosnien oder China! Ich würde auf die höchste tippen, es ist eine Wette, die Chancen stehen eins zu drei! Aber eine dreiunddreißigprozentige Wahrscheinlichkeit ist für einen Forscher viel, und ich vertraue auf meinen Instinkt.«
    Es fiel mir schwer, Keiras plötzlichen Sinneswandel zu verstehen. Noch vor Kurzem betonte sie bei jeder Gelegenheit, wie sehr ihr Äthiopien fehlte. Ich wusste, dass sie sich oft beherrschen musste, um nicht Eric, den Kollegen, der ihre Stelle übernommen hatte, anzurufen. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr fürchtete ich, sie könnte mir mitteilen, die Lage im Omo-Tal habe sich normalisiert und sie würde dorthin zurückkehren. Und nun schlug sie mir vor, sich noch weiter von Afrika und ihren Grabungen zu entfernen. Die Vorstellung, diese Reise nach China mit ihr zu unternehmen, hätte mich freuen und ich hätte ihren Enthusiasmus teilen müssen, doch das Projekt

Weitere Kostenlose Bücher