Am ersten Tag - Roman
wie mir, übernehme ich sie ganz!«
Da musste ich nicht lange überlegen und zückte meinen Geldbeutel, um den Preis der Lüge mit Walter zu teilen. Der Junge nahm den Hörer ab, drehte die Kurbel und erklärte dem Arzt, dass seine Hilfe dringend benötigt wurde. Ein Tourist winde sich vor Schmerzen, man habe ihn zum Rollfeld gebracht, er brauchte ihn nur noch abzuholen.
Eine halbe Stunde später vernahmen wir das nahende Brummen eines Motors. Plötzlich brauchte Walter nicht länger Bauchschmerzen vorzutäuschen, um sich zu Boden zu werfen, denn die kleine Piper Cub raste im Tiefflug knapp über uns hinweg. Sie beschrieb eine scharfe Kurve, um in die Achse der Landebahn zu gelangen, von der sie drei-, viermal abfederte, ehe sie zum Stillstand kam.
»Jetzt verstehe ich den Ausdruck ›Klapperkiste‹!«, meinte Walter seufzend.
Das winzige Flugzeug drehte und kam auf uns zugerollt. Als es uns erreicht hatte, schaltete der Pilot den Motor aus, die Propeller drehten sich noch eine Weile weiter, die Kolben ächzten, dann kehrte Ruhe ein. Die Jungen warteten gespannt, was nun folgen würde. Keiner sagte ein Wort, als der Pilot ausstieg, Lederkappe und Brille abnahm und uns begrüßte. Doktor Sophie Schwartz, über siebzig, wirkte so elegant wie Amelia Earhart. Sie erkundigte sich in fast perfektem, nur von einem leichten deutschen Akzent durchsetztem Englisch, wer von uns beiden der Kranke sei.
»Er!«, rief Walter und deutete auf mich. »Sie sehen nicht krank aus, junger Mann! Was fehlt Ihnen?« Ich war völlig überrumpelt und außerstande, Walters Schwindel aufrechtzuerhalten. Und so beschrieb ich der Ärztin, die sich eine Zigarette anzündete, unsere missliche Lage.
»Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie mein Sanitätsflugzeug für einen Privattransport nach Athen missbrauchen? Ganz schön dreist!«
»Es war meine Idee«, gestand Walter leise.
»Das ändert auch nicht viel an eurer beider Verantwortungslosigkeit, junger Mann!«, antwortete sie und trat ihre Kippe auf dem Asphalt aus.
»Ich entschuldige mich«, sagte Walter kleinlaut.
Die Jungs, die der Szene beiwohnten, ohne zu verstehen, worum es ging, fanden Gefallen an der Situation.
»Werden Sie von der Polizei gesucht?«
»Nein!«, versicherte Walter. »Wir sind Wissenschaftler der Royal Academy of London, und wir befinden uns in einer äußerst heiklen Lage. Wir sind zwar nicht krank, aber wir brauchen trotzdem Ihre Hilfe«, bat er.
Die Ärztin schien sich plötzlich zu entspannen.
»Großbritannien, mein Gott, wie sehr ich dieses Land liebe. Ich war eine fanatische Anhängerin von Lady Di, meine Güte, welche Tragödie!«
Ich sah, dass Walter sich bekreuzigte, und fragte mich, wie weit seine schauspielerischen Fähigkeiten noch gehen würden.
»Das Problem«, fuhr die Ärztin fort, »ist, dass mein Flugzeug nur über zwei Sitze verfügt, und einer davon ist der meine.«
»Und wie transportieren Sie die Verletzten?«, erkundigte sich Walter.
»Ich bin ein fliegender Doktor, keine Ambulanz. Aber wenn Sie zusammenzurücken, müssten wir abheben können.«
»Warum trotzdem?«, fragte Walter beunruhigt.
»Weil wir etwas schwerer sein werden als das zugelassene Gewicht, doch die Piste ist nicht so kurz, wie es den Anschein hat. Wenn wir mit Vollgas starten, bekommen wir wahrscheinlich genug Tempo, um abzuheben.«
»Und anderenfalls?«, fragte ich.
»Plumps!«, erklärte die Ärztin.
In akzentfreiem Griechisch befahl sie den Kindern, sich zu entfernen, und bat uns, ihr zu folgen. Während sie zum Startcheck um das Flugzeug herum lief, erzählte sie von sich.
Ihr Vater war ein deutscher Jude, ihre Mutter Italienerin. Während des Krieges hatten sie sich auf einer kleinen griechischen Insel niedergelassen. Die Dorfbewohner hatten sie versteckt, und nach dem Waffenstillstand waren sie dort geblieben.
»Wir haben immer hier gelebt, und auch ich wollte nie wegziehen. Gibt es auf der Welt ein schöneres Paradies als diese Inseln? Papa war Pilot, Mama Krankenschwester, Sie können sich also vorstellen, warum ich fliegende Ärztin geworden bin. Und nun sind Sie dran, vielleicht möchten Sie mir erklären, wovor Sie wirklich auf der Flucht sind. Ach, aber eigentlich geht mich das gar nichts an, Sie sehen nicht bösartig aus. Man wird mir ohnehin bald meinen Flugschein abnehmen, da muss ich vorher jede Gelegenheit nutzen. Sie bezahlen den Sprit, das ist alles.«
»Warum will man Ihnen den Flugschein abnehmen?«, erkundigte sich Walter.
Die
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