Am ersten Tag - Roman
übernachten, oder? Wenn Sie Angst haben, dass sich Ihre Mutter wegen unserer Verspätung Sorgen macht, rufen wir Sie an, sobald wir an Land sind.«
Ich wusste nicht, ob Walters Unruhe begründet war oder ob ihm das Abenteuer, das wir durchlebt hatten, einfach nur Spaß machte und er es künstlich verlängern wollte. Doch als die Gangway wieder eingeholt wurde, sah auch ich den Mann am Oberdeck, der uns sonderbar anstarrte. Ich bin mir nicht sicher, ob es von Walter sehr klug war, ihn mit einer obszönen Geste zu bedenken, als sich die Fähre vom Kai entfernte.
Wir setzten uns auf die Terrasse einer Fischerkneipe, die öffnete, sobald die erste Fähre anlegte. Es war sechs Uhr früh, und hinter den Hügeln ging die Sonne auf. Ein kleines Flugzeug stieg in den Himmel, zog eine Schleife über dem Hafen und flog übers Meer davon.
»Gibt es hier einen Flughafen?«, wollte Walter wissen.
»Eine Landepiste, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Doch ich glaube, die wird nur von Post- und einigen Privatmaschinen benutzt.«
»Wir sollten hinfahren. Wenn wir Glück haben, nimmt uns jemand mit. So würden wir unsere Verfolger endgültig abhängen.«
»Walter, ich glaube, Sie leiden tatsächlich unter Paranoia. Ich kann mir nicht vorstellen, dass uns irgendjemand verfolgt.«
»Adrian, bei aller Freundschaft muss ich Ihnen sagen, dass Sie mir maßlos auf die Nerven gehen!«
Walter bezahlte unseren Kaffee, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihm den Weg zum kleinen Landeplatz zu weisen.
Walter und ich standen am Straßenrand und versuchten, per Anhalter weiterzukommen. Die erste halbe Stunde war nicht sehr erfolgreich, die berühmten weißen Steine der Insel begannen bereits in der Sonne zu glitzern, und die Hitze setzte ein.
Eine Gruppe Jugendlicher auf Mopeds schien sich über unsere Lage lustig zu machen. Sie mussten uns für zwei verirrte Touristen halten und waren höchst erstaunt, als ich sie, ohne auf ihre Scherze einzugehen, auf Griechisch um Hilfe bat. Der Älteste von ihnen wollte sich für seine Unterstützung bezahlen lassen, doch Walter, der die Situation erfasst hatte, war so überzeugend, dass sich uns urplötzlich zwei Vespasättel anboten. Die Reise ging los, und wir klammerten uns an unseren Piloten fest - bei der Geschwindigkeit und dem Neigungswinkel in den Kurven fällt mir kein anderes Wort für die beiden Fahrer ein, die uns über die gewundenen Straßen chauffierten. Schließlich erreichten wir die kleine Asphaltpiste, die sich nach Westen hin erstreckte und jetzt völlig verlassen war. Der cleverste unserer Begleiter erklärte uns, das Flugzeug, das alle zwei Tage die Post liefere, sei bereits abgeflogen, wir hatten es verpasst.
»Das muss die kleine Maschine gewesen sein, die wir vorhin gesehen haben«, sagte ich.
»Wie scharfsinnig!«, gab Walter zurück.
»Wenn Sie es so eilig haben, bleibt Ihnen noch immer das Arztflugzeug«, erklärte mit der Jüngste der Bande.
»Was?«
»Der Arzt, der kommt, wenn jemand schwerkrank ist, hat seine eigene Klapperkiste. In der Baracke dahinten gibt’s ein Telefon, um ihn anzurufen, doch nur in Notfällen. Als mein Cousin eine Blinddarmentzündung hatte, haben sie ihn innerhalb einer halben Stunde abgeholt.«
»Ich glaube, ich habe furchtbare Bauchschmerzen«, erklärte Walter, dem ich das Gespräch übersetzt hatte.
»Sie wollen doch wohl nicht den Arzt stören und sein Flugzeug missbrauchen, um nach Athen zu gelangen?«
»Wenn ich an einer Bauchfellentzündung sterbe, tragen Sie auf immer und ewig die Verantwortung für meinen Tod! Eine schwere Last!«, wimmerte Walter und sank auf die Knie.
Die Kids fingen zu lachen an. Walters Darbietung war umwerfend. Der Älteste zeigte mir einen antiken Telefonapparat, der an der Wand des »Kontrollturms« befestigt war. Es handelte sich um eine Holzhütte mit einem Stuhl, einem Tisch und einem VHF-Funkgerät, das aus der Vorkriegszeit zu stammen schien. Den Anruf wollte er jedoch nicht tätigen, denn wenn der Schwindel aufflöge, würde ihm sein Vater eine gewaltige Tracht Prügel verpassen, die er lieber vermeiden wollte. Walter erhob sich und überreichte seinem neuen Freund ein paar Geldscheine, um ihn davon zu überzeugen, dass eine tüchtige Abreibung letztendlich gar nicht so schlimm wäre.
»Jetzt bestechen Sie sogar schon Kinder. Das wird ja immer besser!«
»Ich wollte Sie gerade bitten, etwas zu der Summe beizusteuern,
aber wenn Sie zugeben, dass es Ihnen genauso viel Spaß macht
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