Am ersten Tag - Roman
Keira so schwergefallen sein musste, einen solchen Ort zu verlassen.
»Es berührt mich sehr, dass du hierhergekommen bist, Adrian. Das Wochenende in London war wunderbar - wunderbar, aber…«
Ich musste sie unterbrechen, denn ich wollte um nichts in der Welt das hören, was sie jetzt sagen würde. Ich hatte es mir schon lange vor meiner Abreise aus London ausgemalt, wenn auch nicht in aller Deutlichkeit. Warum habe ich ihr so schnell geantwortet, sie würde sich bezüglich meiner Absichten täuschen, wo doch das Gegenteil der Fall war? Der Wunsch, sie wiederzusehen, hatte mich hergetrieben. Ich wollte ihre Stimme hören, ihren Blick auf mir spüren, selbst wenn er feindselig war, wollte sie berühren und hatte den unwiderstehlichen Wunsch, sie in die Arme zu schließen, ihre Haut zu kosten -, aber von all dem gestand ich ihr nichts. Das war die nächste Dummheit meinerseits, man könnte es auch falschen männlichen Stolz nennen, doch die Wahrheit ist, dass ich nicht ein zweites, um nicht zu sagen ein drittes Mal abgewiesen werden wollte.
»Meine Anwesenheit hat keine romantischen Motive, Keira«, fügte ich hinzu, um die Sache noch schlimmer zu machen. »Ich muss über etwas anderes mit dir reden.«
»Und dafür hast du eine so weite Reise unternommen? Dann muss es ja etwas sehr Ernstes sein.«
Mir kam es leichter vor, die Tiefen des Universums zu berechnen, als jene Art von Mysterium zu enträtseln, mit dem ich gerade konfrontiert wurde: Noch vor wenigen Minuten schien Keira verärgert bei der Vorstellung, ich sei ihretwegen hergekommen, und jetzt, da ich das Gegenteil behauptete, schien sie ebenso wütend.
»Ich höre!«, sagte sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Und bitte fass dich kurz, ich muss zurück zu meinem Team.«
»Wenn es dir lieber ist, kann das bis heute Abend warten. Ich möchte mich nicht aufdrängen, und ich kann heute nicht mehr die Rückfahrt antreten, es gibt nur zwei Flüge pro Woche von Addis Abeba nach London, und der nächste geht erst in drei Tagen.«
»Du kannst bleiben, solange du willst. Dieser Ort, abgesehen von meiner Grabungsstätte, steht jedem offen, doch ich möchte dich bitten, nicht mehr ohne Führung dort herumzuspazieren.«
Das versprach ich ihr und ließ sie ihre Arbeit beenden. In einigen Stunden wären wir wieder zusammen und hätten den ganzen Abend Zeit, uns zu unterhalten.
»Richte dich in meinem Zelt ein«, rief sie mir zu, als sie schon den Weg hinauflief. »Und sieh mich nicht so an, wir sind schließlich nicht mehr fünfzehn. Wenn du draußen schläfst, verschlingen dich die Vogelspinnen. Ich hätte dich gerne bei den Männern untergebracht, aber ihr Schnarchen ist schlimmer als die Bisse dieser Viecher.«
Wir aßen mit dem Team zu Abend. Die Feindseligkeit der Archäologen mir gegenüber war vergessen, seit ich nicht mehr wie ein Elefant durch ihr Ausgrabungsareal trampelte. Im Gegenteil, sie waren eher freundlich, ich glaube, sie freuten sich, ein neues Gesicht zu sehen, vor allem wenn es Neuigkeiten aus
Europa mitbrachte. Im Gepäck hatte ich noch eine Zeitung aus dem Flugzeug, die eine wahre Sensation darstellte. Jeder wollte sie haben, und der, der sie bekam, musste den anderen vorlesen. Unvorstellbar, wie diese banalen Nachrichten an Bedeutung gewinnen, wenn man weit von seiner Heimat entfernt und von der Welt abgeschnitten ist. Als sich die Gruppe rund um das Feuer setzte, nahm mich Keira beiseite.
»Deinetwegen werden sie morgen müde sein«, meinte sie im Ton des Vorwurfs, denn alle vertieften sich sofort in die Lektüre der Zeitung. »Die Tage sind anstrengend, jede Minute Arbeit zählt. Wir leben im Rhythmus der Sonne, normalerweise schlafen die Männer um diese Zeit schon.«
»Dann sag dir, dass heute kein normaler Abend ist.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, währenddessen wir beide den Blick abwandten.
»Ich muss gestehen, dass seit einigen Wochen nichts mehr in meinem Leben normal ist«, fuhr ich fort. »Und meine Gegenwart hier hat auch mit dieser Anhäufung von Zwischenfällen zu tun.«
Ich zog die Kette mit dem Anhänger aus meiner Tasche und reichte sie ihr.
»Die hast du auf meinem Nachtkästchen vergessen, ich bin gekommen, um sie dir zurückzugeben.«
Keira hielt den Anhänger in der geöffneten Hand und betrachtete ihn lange, ihr Lächeln war wunderschön.
»Er ist nicht zurückgekommen«, sagte sie.
»Wer?«
»Der, der sie mir geschenkt hat.«
»Fehlt er dir so sehr?«
»Es vergeht kein Tag, ohne dass ich
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