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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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ließ seine Sekretärin kommen.
    »Haben wir noch Leute in Äthiopien?«
    »Ja, zwei Personen befinden sich vor Ort. Ich habe gerade die afrikanische Akte für Ihre Kabinettssitzung, die nächste Woche im Außenministerium stattfindet, aktualisiert.«
    Lorenzo reichte ihr eine Fotografie und einen Zettel mit einer Uhrzeit.
    »Nehmen Sie Kontakt mit ihnen auf. Sie sollen mich über die Bewegungen, Treffen und Gespräche dieses Mannes informieren, der morgen früh mit seiner Maschine aus London in Addis Abeba landet. Er ist Brite, also ist Diskretion geboten. Sagen Sie unseren Leuten, sie sollen die Überwachung abbrechen, sobald sie Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Vermerken Sie diesen Auftrag in keiner Akte. Ich möchte, dass er vorerst vertraulich behandelt wird.«
    Die Sekretärin nahm die Unterlagen, die Lorenzo ihr reichte, und zog sich zurück.

Äthiopien
    Ich hielt mich nur eine Stunde am Flughafen von Addis Abeba auf. Gerade Zeit genug, um meinen Pass abstempeln zu lassen, mein Gepäck zu holen und mich dann an Bord eines kleinen Flugzeugs zu begeben, das mich nach Jinka bringen sollte.
    Die Tragflächen der alten Maschine waren verrostet, und ich fragte mich, wie sie überhaupt noch abheben konnte. Die Scheibe des Cockpits war ölverschmiert. Der Kompass, dessen Nadel hin- und herzuckte, schien das einzige Instrument des Armaturenbretts zu sein, das funktionierte. Doch den Piloten beunruhigte das offenbar nicht weiter. Jedes Mal, wenn der Motor stotterte, betätigte er nur leicht den Gashebel in die eine oder andere Richtung, um die geeignete Drehzahl zu erreichen. Allem Anschein nach verließ er sich mehr auf sein Gehör als auf seine Augen. Begleitet von ohrenbetäubendem Lärm zog unter den altersschwachen Tragflächen der Maschine eine der schönsten Landschaften Afrikas dahin.
    Ein paar Stunden später federte das Fahrgestell mehrmals auf der Lehmpiste ab, ehe die Räder in einer dicken Staubwolke zum Stehen kamen. Kinder kamen auf uns zugelaufen, und ich fürchtete, eines von ihnen könnte in die Propeller geraten. Der Pilot beugte sich zu mir herüber, öffnete die Tür, um mein Gepäck hinauszuwerfen, und mir wurde klar, dass sich unsere Wege hier trennten.
    Kaum hatte ich einen Fuß auf den Boden gesetzt, machte die Maschine kehrt, und als ich mich umdrehte, erhob sie sich
bereits über die Wipfel der Eukalyptusbäume. Ich stand allein im Nirgendwo und bereute bitter, Walter nicht zum Mitkommen überredet zu haben. So saß ich auf einem Ölfass, mein Gepäck zu meinen Füßen, und betrachtete die unberührte Natur um mich herum. Die Sonne ging unter, und mir wurde bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich die Nacht verbringen sollte.
    Ein Mann in einem löchrigen T-Shirt kam auf mich zu und bot mir seine Hilfe an - das zumindest glaubte ich zu verstehen. Ihm zu erklären, dass ich auf der Suche nach einer Archäologin war, die in der Nähe arbeitete, erforderte enormes pantomimisches Talent. Es erinnerte mich an ein Spiel, das sich in meiner Familie großer Beliebtheit erfreut hatte. Es bestand darin, eine Situation oder einfach nur ein Wort darzustellen, das die anderen dann erraten mussten. Ich hatte dabei nie gewonnen! Und nun war ich hier und tat so, als würde ich den Boden aufgraben, begeisterte mich angesichts eines banalen Holzstücks, als hätte ich einen Schatz entdeckt, doch mein Gegenüber sah mich derart mitleidig an, dass ich schließlich aufgab. Der Mann zuckte die Schultern und wandte sich ab.
    Zehn Minuten später kam er in Begleitung eines Jungen zurück, der sich zunächst auf Französisch, dann auf Englisch an mich wandte und schließlich beide Sprachen vermischte. Er erklärte mir, drei Archäologen-Teams würden in der Gegend arbeiten. Eines siebzig Kilometer nördlich von uns, ein zweites im kenianischen Rift Valley; ein drittes, das erst vor Kurzem angekommen war, hätte sein Lager etwa hundert Kilometer vom Turkana-See entfernt aufgeschlagen. Jetzt wusste ich also, wo Keira war, und musste nur noch ein Mittel finden, um zu ihr zu gelangen.
    Der Junge bat mich, ihm zu folgen. Der Mann, der zuerst zu mir gekommen war, bot mir für die Nacht ein Quartier an. Ich
wusste nicht, wie ich ihm danken sollte, und dachte im Stillen, wäre ich in den Straßen von London einem verirrten Äthiopier begegnet, der mich nach dem Weg gefragt hätte, wäre ich vermutlich nicht so großzügig gewesen, ihm eine Bleibe anzubieten. Ob nun Kulturunterschiede oder Vorurteile - in beiden Fällen

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