Am Fluss des Schicksals Roman
der Mann reagieren konnte, gab sie ihm einen Schubs, sodass er vom Pier in den Fluss stürzte.
Als Francesca das Aufspritzen des Wassers vernahm, kam ihr plötzlich ein erschreckender Gedanke. Was, wenn er nicht schwimmen konnte? Angestrengt spähte sie ins Wasser. Als sie ihren einstigen Verfolger nicht entdecken konnte, befiel sie Panik. Sie blickte zu einem Mann auf einem Dampfschiff ganz in der Nähe, der mit erschrockenem Gesicht auf die Wasseroberfläche starrte.
»Stehen Sie nicht herum, retten Sie ihn!«, rief sie hinüber.
Belustigt sah er auf. » Sie haben den armen Kerl ins Wasser geschubst«, erwiderte er gelassen. »Warum sollte ich da in den Fluss springen, um ihn rauszuholen?«
Francesca verschlug es vor Schreck den Atem. »Aber ... aber wenn er ertrinkt?« Sie musste an ihre Mutter denken und wurde von Gewissensbissen geplagt. Ratlos und verwirrt stand sie am Kai und wusste nicht, was sie tun sollte, während die Sekunden, die verstrichen, ihr endlos erschienen.
Dem Mann auf dem Schiff schien das alles gleichgültig zu sein. »Daran hätten Sie vorher denken müssen.«
»Aber ... aber ich wollte doch nicht ...«
Mit einem Achselzucken wandte der Mann sich wieder der Arbeit zu, als wäre bloß ein Stück Holz ins Wasser gefallen.
Seine Gleichgültigkeit erfüllte Francesca mit Entsetzen. Sie schaute sich um, ob jemand anderes in der Nähe war, der ihr helfen konnte, wobei sie ernsthaft die Möglichkeit in Betracht zog, selbst in den Fluss zu springen. Plötzlich hörte sie ein Gurgeln, und gleich darauf tauchte der Kopf des Hafenarbeiters aus dem Wasser empor. Francesca stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, da es nicht so aussah, als wäre der Mann in Not, auch wenn er schnaufte und keuchte und wütend Wasser spuckte. Während Francesca zu ihm hinunterschaute, starrte er zu ihr hoch. Erst jetzt dämmerte ihr, dass der Mann auf dem Schiff gewusst haben musste, dass dieser Arbeiter schwimmen konnte. Bestimmt wussten es alle hier. Vor Wut wurden Francescas Augen schmal.
»Warum, zum Teufel, haben Sie das getan?«, brüllte der Arbeiter wütend zu ihr hinauf.
»Ich hatte Ihnen klipp und klar gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen. Außerdem hatten Sie ein Bad dringend nötig«, rief sie zu ihm hinunter. »In Zukunft sollten Sie vorher nachdenken, ehe Sie mir wieder Ihre unerwünschten Aufmerksamkeiten aufzwingen.« Sie hob den Blick zu dem Mann auf dem nahen Dampfschiff und richtete anklagend den Zeigefinger auf ihn. »Und was Sie betrifft ...« Doch der Mann unterbrach sie, indem er herzhaft lachte, genau wie ein paar andere, die das Geschehen verfolgt hatten.
Trotz ihrer Verlegenheit hatte Francesca das Gefühl, gesiegt zu haben. Noch vor wenigen Minuten hatte sie Panik und Hilflosigkeit verspürt und trotzdem einen Weg gefunden, sich eines unliebsamen Quälgeists zu entledigen; deshalb war sie der Meinung, es sich verdient zu haben, stolz auf sich zu sein. Doch der Mann auf dem Schiff machte ihr die Genugtuung zunichte, und sie ärgerte sich über ihn.
Sie starrte ihn an, wobei der Kerl die Frechheit besaß, sie anzugrinsen. Er war eine attraktive Erscheinung, obwohl er einen leicht überheblichen Eindruck machte. Vielleicht lag es an der Art, wie er den Kopf schräg legte, oder an der großen Selbstsicherheit, mit der er sich bewegte.
»Können Sie mir sagen, wo die Marylou ankert?«, rief sie zu ihm hinüber, während sie sich über sich selbst ärgerte, weil sie sein ansteckendes Lächeln nicht unerwidert lassen konnte.
»Wer will das wissen?«, fragte er zurück, wobei er geschickt ein Seil aufrollte. Francesca fiel auf, dass er in sehr guter Kondition zu sein schien, im Gegensatz zu anderen Hafenarbeitern, die den Eindruck machten, als wären sie die meiste Zeit ihres Lebens betrunken. Sein Haar war sehr dunkel, und in dem gebräunten Gesicht blitzten weiße Zähne. Francesca fragte sich, ob er vielleicht spanischer oder griechischer Abstammung war, aber er sprach ohne erkennbaren Akzent. Sein Schiff hieß Ophelia.
»Wissen Sie es nun, oder wissen Sie’s nicht?«, entgegnete Francesca, da sie unschlüssig war, ob sie dem Fremden ihren Namen nennen sollte.
»Kann schon sein, dass ich es weiß, aber Joe Callaghan hätte bestimmt etwas dagegen, wenn ich jedem x-Beliebigen erzähle, wo er sich gerade aufhält.«
Francesca war erleichtert, dass er ihren Vater offenbar kannte. Dennoch missfiel ihr seine Anspielung, dass sie von zweifelhaftem Ruf sein könnte. »Ich bin keine
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