Am Fluss des Schicksals Roman
das Unvermeidliche hinaus.«
»Vielleicht hast du Recht«, entgegnete Neal und ließ sieherunter, während der Zug abfuhr. In diesem Augenblick prasselte ein Gewitterschauer auf sie nieder. Neal zog Teddys Mantel aus, legte ihn Francesca um die Schultern und hob sie auf den gegenüberliegenden Bahnsteig. Nachdem er ebenfalls hinaufgeklettert war, nahm er ihre Hand, und sie rannten zur Uferpromenade. Francesca nahm an, dass er sich irgendwo mit ihr unterstellen wollte, um zu reden, sodass sie völlig schockiert war, als sie sich dem Bordell näherten und Neal das Eingangstor aufstieß.
»Ich gehe da nicht rein!«, sagte sie. »Niemals! Hast du den Verstand verloren?«
Ohne ein Wort zog Neal sie zur Eingangstür und klopfte an.
»Um Himmels willen, Neal«, sagte Francesca und kämpfte vor Wut mit den Tränen. »Lass mich los.« Sie versuchte, ihre Hand aus der seinen freizubekommen, doch er hielt sie fest.
»Vertrau mir, Francesca. Ich habe nicht die Absicht, dich zu demütigen.«
»Hier zu sein ist demütigend genug«, fauchte Francesca, als plötzlich die Tür geöffnet wurde.
Das Lächeln im Gesicht der Frau, die in der Tür stand, verblasste, als ihr Blick auf Francesca fiel, und sie raffte ihren Morgenrock zusammen. »Neal, ich dachte, du bist ...« Sie biss sich auf die Zunge. »Heute Abend ist nichts los«, fuhr sie fort. »Was machst du hier?«
»Hallo, Bridie. Das ist meine Frau Francesca«, stellte er sie vor.
Bridie sah Francesca ihr Unbehagen an, doch ihr war schon seit langem gleichgültig, was andere von ihr dachten. »Guten Abend«, sagte sie mit starkem irischen Akzent. Stirnrunzelnd blickte sie Neal an. »Wollt ihr hereinkommen?«, fragte sie, ohne schlau daraus zu werden, warum Neal seine Frau mitgebracht hatte.
»Ja. Ist Gwendolyn wach?«
»Ich glaube schon«, entgegnete Bridie und trat zur Seite.
Francesca versuchte erneut, sich loszureißen. »Ich will deine Geliebte nicht kennen lernen!«, zischte sie, doch Neal verstärkte lediglich den Griff um ihre Hand und zog sie ins Haus, während Bridie sie missbilligend musterte. Neal zerrte Francesca durch einen schummrig beleuchteten Gang, in dem ihr der Geruch von billigem Parfum in die Nase stach. Durch die offenen Türen entlang des Flures erhaschte sie Blicke in dämmrig beleuchtete Zimmer und auf spärlich bekleidete Frauen, sodass ihre Wangen vor Scham glühten. Gleich darauf traten sie durch die Hintertür nach draußen in den Regen und gingen auf einen kleinen Anbau zu. Neal klopfte an die Tür.
»Ich bin’s, Gwendolyn«, rief er, während er den Kragen seines Hemdes hochschlug, weil der Regen hineinlief.
»Ich kann nicht glauben, dass du mir zumutest, deine Geliebte kennen zu lernen«, stieß Francesca hervor. »Ich dachte, ich kenne dich, aber offensichtlich bist du mir völlig fremd, sonst würdest du mich nicht so grausam behandeln.«
Neal wandte den Kopf und blickte sie an. Trotz der Dunkelheit nahm Francesca seinen gequälten Gesichtsausdruck wahr. Jetzt verstand sie überhaupt nichts mehr.
Im nächsten Augenblick wurde die Tür geöffnet. »Neal«, rief eine mädchenhafte Stimme. Francesca erwartete, eine weitere Person im Zimmer zu erspähen, da die Stimme gar nicht zu der Frau passte, die Neal jetzt um den Hals fiel. Francesca wollte sich umdrehen und davonlaufen, doch Neal hielt sie fest.
»Können wir hereinkommen, Gwennie?«, fragte er. »Es regnet in Strömen.«
Mit einem Kichern machte Gwennie den Weg frei. Neal zog Francesca ins Innere und schloss die Tür hinter ihnen. Sein Hemd war völlig durchnässt, und er zitterte, doch Francescas Aufmerksamkeit war auf ihre Umgebung gerichtet.Irritiert blickte sie auf eine Ansammlung von Puppen und nahm kaum wahr, dass Neal ihrer Gastgeberin, die ihnen im Nachthemd die Tür geöffnet hatte, heimlich einen Morgenrock überstreifte. Der Raum sah aus wie ein Kinderzimmer. Francesca kam kurz in den Sinn, dass die Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, vielleicht ein gemeinsames Kind mit Neal hatte, obwohl sie nicht der Typ dafür war, wie immer der auch aussehen mochte. Sie war von kräftiger Statur; ihre blonden Haare waren im Nacken zusammengebunden, und sie trug eine Brille mit dicken Gläsern. Ihr Gesicht war nichts sagend, doch ihre blauen Augen funkelten aufgeregt.
»Gwendolyn, ich habe dir doch erzählt, dass ich eine Frau namens Francesca geheiratet habe«, sagte Neal langsam und betont.
»Ja«, erwiderte Gwen und spielte nervös mit den Fingern, während sie
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