Am Fluss des Schicksals Roman
Tanten?«
»In Australien leben keine Verwandten von uns. Ich habe ein paar Tanten in England und Irland geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.«
»Und wie kam es dazu, dass sie hinter dem Bordell wohnt?«
»Maggie und die anderen Mädchen haben mich und Gwendolyn häufiger in der Stadt gesehen, wenn ich versucht habe, sie zu vermitteln. Schließlich haben sie mich angesprochen. Obwohl die Mädchen von manchen Leuten verachtet werden, sind sie liebenswert und freundlich und haben ein großes Herz, so wie Lizzie. Sie haben Gwendolyn das Hinterzimmer angeboten und versprochen, sich um sie zu kümmern. Als Gegenleistung macht Gwennie die Hausarbeit. Da sie anfällig für Keuchhusten ist, beruhigt es mich zu wissen, dass die Mädchen nach ihr sehen. Das alles hört sich ungewöhnlich an, ich weiß, aber bisher hat es wunderbar geklappt. Die Mädchen schlafen meistens tagsüber, und Gwennie macht es Spaß, für sie zu waschen und ihnen einfache Gerichte zu kochen. Sie ist zwar ein bisschen langsam, aber mit Leib und Seele bei der Sache, und Maggie achtet darauf, dass sie von den Männern in Ruhe gelassen wird. Sobald es dunkel ist, zieht sie sich in ihr Zimmer zurück und schließt hinter sich ab. Ihr kann kaum etwas passieren, aber trotzdem erinnere ich sie bei jedem Besuch daran, die Tür zu verriegeln, für den Fall, dass ein Betrunkener sich nach draußen zu ihr verirrt.«
»Verzeih mir, Neal, dass ich dich völlig falsch eingeschätzt habe«, sagte Francesca. Sie schämte sich vor sich selbst.
»Das ist nicht deine Schuld. Bis jetzt habe ich Gwendolyn noch nie jemandem vorgestellt. Schließlich trage ich die Verantwortung für sie, und das schreckt manche Frauen ab. Gwen ist auch der Grund dafür, dass ich nie heiraten oder Kinder haben wollte. Mein Vater hat mich stets gewarnt, ichkönnte ebenfalls ein behindertes Kind zeugen, während die Ärzte sich in diesem Punkt streiten. Ich liebe Gwennie von ganzem Herzen, Francesca, aber ich habe miterlebt, was meine Eltern durchgemacht haben. Gwennie ist zu vertrauensselig und manchmal sehr ungestüm in ihrer Liebesbedürftigkeit, wie du sicher bemerkt hast. Man darf sie keine Sekunde aus den Augen lassen, weil sie naiv ist wie ein Kind. Sie kam zur Welt, als meine Mutter schon nicht mehr damit rechnete, noch ein Kind zu bekommen, und mein Vater war damals schon von seiner Krankheit gezeichnet. Auch wenn es grausam klingt – ich glaube, dass Gwennie die beiden so früh ins Grab getrieben hat.«
»Es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass du ein Kind wie Gwendolyn zeugst, Neal, aber selbst wenn, würdest du es ebenfalls ins Herz schließen. Genau wie ich.«
Neal blieb stehen und zog Francesca in seine Arme. »Ich weiß wirklich nicht, womit ich dich verdient habe«, sagte er gerührt. »Du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe.«
Francesca sah ihm an, dass er mit den Nerven am Ende war. Die Ereignisse des Tages hatten beide sehr mitgenommen. Sie hielten sich einige Augenblicke lang fest umschlungen.
»Wo ich gerade dabei bin, all meine Sünden zu beichten«, sagte Neal, »muss ich dir noch etwas sagen. Es geht um unsere Ehe.«
»Ich weiß, dass sie bloß gespielt ist, Neal, aber sag mir jetzt bitte nicht, dass du sie beenden möchtest«, entgegnete Francesca, der erneut Tränen in die Augen stiegen. »Es tut mir Leid, dass ich dir misstraut habe, aber ich könnte es nicht verkraften, dich jetzt zu verlieren.«
Neal schüttelte den Kopf. »Ich meine etwas anderes«, sagte er. Auch er wollte Frannie um keinen Preis verlieren, aber er musste endlich mit offenen Karten spielen. »Ich möchte, dass es zwischen uns keine Lügen mehr gibt.«
Francesca blinzelte, während ihre Wimpern von den Tränen feucht glänzten. Sie hatte keine Ahnung, was Neal ihr offenbaren wollte.
»Du weißt doch, dass ich in Moama war, um einen Freund zu bitten, bei unserer Trauung den Pfarrer zu spielen?«
Sie nickte.
»Nun, ich konnte meinen Freund nicht aufspüren. Irgendjemand sagte mir, er sei auf die Goldfelder gegangen.«
»Ich verstehe nicht ...«, sagte Francesca verwundert. »Dann war Jefferson Morris ein anderer Freund von dir? Oder ein Schauspieler?« Sie hatte gehört, dass es in Moama eine Theatertruppe gab.
Neal ergriff ihre linke Hand und betrachtete den Trauring, der in der Dunkelheit schimmerte. Er dachte daran, wie er sich gefühlt hatte, als er sein Ehegelübde abgelegt und Frannie den Ring übergestreift hatte. Es war einer der bewegendsten Momente seines
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