Am Fluss des Schicksals Roman
Jahren Ehe hatten die Callaghans die Hoffnung auf eigene Kinder begraben.
Jedenfalls sah Joe nun die Chance, beruflich auf eigenenFüßen zu stehen. Der Transport von Holz aus den Wäldern bei Barmah zu den Schiffswerften bot ihm und Mary die Möglichkeit, zu bescheidenem Wohlstand zu gelangen, zumal in den wachsenden Städten am Fluss immer mehr Sägemühlen den Betrieb aufnahmen. Wie seine Eltern, stammte auch Joe aus County Donegal in Irland; seine Familie war nach England gezogen, als Joe erst zwei Jahre alt war, und er hatte seine Kindheit an der Themse verbracht, die sein Vater als Kapitän eines Frachtkahns befuhr, bis er 1848 an einer Lungenentzündung starb.
Als Joe alt genug war, trat er aus Liebe zur Schifffahrt der Handelsmarine bei. Nachdem er sein Kapitänspatent erworben hatte, kehrte er nach England zurück und lernte Mary kennen. Nach der Hochzeit im Jahre 1851 wanderte das Paar nach Australien aus. Doch Joe hatte nie seine Liebe zu Schiffen verloren. Zwar wollte er nicht wieder zur See fahren – zumal es bedeutet hätte, dass er immer wieder für längere Zeit von Mary getrennt wäre –, doch der Murray River zog ihn magisch an.
Deshalb erschien es ihm nun, bei der Ankunft in Echuca, um seinen Raddampfer zu übernehmen, als wäre er an den einzigen Ort zurückgekehrt, an dem sein Herz und seine Seele glücklich waren.
Joe und Mary quartierten sich für die Nacht im Bridge Hotel ein, das nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt war und Silas Hepburn gehörte, dem Gründer von Echuca und mächtigsten Mann der Stadt. Joe hatte erfahren, dass Hepburn zudem zahlreiche Geschäfte an der High Street gehörten sowie große Flächen Land in der Umgebung der Stadt, sodass er gespannt darauf war, diesen offenbar tüchtigen und erfolgreichen Mann kennen zu lernen.
Mary war der Ansicht, sie könnten sich ein solches Luxushotel nicht leisten, in dem die Übernachtung fünf Pfundkostete – dreimal so viel wie in einer Pension. Doch Joe erklärte, dass sie ein weiches, warmes Bett verdient habe, nachdem sie zwei Jahre lang in einem schmutzigen Zelt und einer primitiven Hütte gehaust hatte.
Das Bridge Hotel befand sich unweit vom Hafenplatz, wo sich die Karren reihten, um den Murray River auf einer Pontonbrücke zu überqueren, die ebenfalls Silas Hepburn gehörte. Das Hotel war ein zweistöckiges Gebäude aus weinroten Ziegelsteinen, mit weiß getünchter Veranda und einem Balkon, der von Holzpfählen getragen wurde. Zwei eingeschossige Seitenflügel erstreckten sich zwischen der High Street und der Promenade. Die Schankstube war ein beliebter Treffpunkt der Viehzüchter.
Als Joe und Mary am Tag ihrer Ankunft im Hotel zu Abend aßen, machten sie die Bekanntschaft von Silas Hepburn und dessen Frau Brontë, die sich als fröhlich und hilfsbereit erwies. Doch was Silas Hepburn selbst betraf – kaum hatte er den Mund aufgemacht, wurde offensichtlich, dass er arrogant, egoistisch und raffgierig war. Joe gewann den Eindruck, dass Silas ihn aushorchte, um sich zu vergewissern, dass er ihm mit seinem zukünftigen Geschäft keine Konkurrenz machte. Als Joe erklärte, er sei Besitzer und Kapitän eines neuen Raddampfers, beglückwünschte Silas ihn und bot ihm großzügig Hilfe in Form eines »Darlehns« an, sollte sich die Notwendigkeit ergeben. Joe wurde misstrauisch. Geldverleiher vom Schlage Silas Hepburns waren ihm schon immer suspekt gewesen.
Bei Joes letztem Aufenthalt in der Stadt einen Monat zuvor hatte er einen Mann namens Ned Gilford angeheuert und mit ihm vereinbart, sich an dem Abend, wenn er und Mary in der Stadt ankämen, im Hotel zu treffen. Mary wusste nur zu gut, dass Joe sehr empfänglich war für Menschen, die im Leben gestrauchelt waren. Nicht dass er naiv gewesen wäre; es war vielmehr so, dass er für jeden Mitmenschen, demein hartes Leben beschieden war, Mitgefühl aufbrachte. Deshalb war Mary nicht überrascht gewesen, als Joe ihr das erste Mal von Ned erzählt hatte.
Da Joe mit der Binnenschifffahrt nicht vertraut war, hatte er beschlossen, einen Matrosen anzuheuern, der sich mit dem Fluss und mit Raddampfern auskannte. Er war im Hafen gewesen und hatte dort verkündet, dass er nach einem fähigen Matrosen suche, als er eine Gruppe Arbeiter bemerkte, die johlend einen Mann umringte, der gerade versuchte, die Vorderräder eines voll beladenen Ochsenkarrens anzuheben. Der Mann war Ned. Er sah aus, als habe er die fünfzig schon überschritten, war aber noch fit für sein Alter – es
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