Am Fluss des Schicksals Roman
Liebe«, sagte sie mit einer Stimme, in der keinerlei Gefühlsregung mitschwang.
»Vielen Dank, Mrs Radcliffe«, murmelte Francesca, wie erstarrt unter Reginas eisigem Blick. »Es ... es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Aus der Nähe bemerkte Francesca die Fältchen um Reginas Augen und die grauen Strähnen am Haaransatz, was ihrer Schönheit jedoch keinen Abbruch tat. Sie trug ein blaugrünes Kleid und ein großes Amulett um den Hals.
»Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Francesca.« Regina warf einen raschen Blick auf ihren Sohn, bevor sie Francesca kurz die Hand gab. Danach wandte sie sich um und begab sich zu einem Ohrensessel aus Gobelin gegenüber dem Sofa, wo sie Platz nahm, dabei sorgfältig ihr Kleid um sich drapierte und anschließend die Hände im Schoß faltete. Sie hielt den Oberkörper sehr aufrecht, als wäre dieser Empfang eine Angelegenheit von wenigen Minuten.
»Ich hoffe, nur Gutes«, entgegnete Francesca, um die angespannte Atmosphäre ein wenig aufzulockern.
Regina gab keine Antwort, doch Monty kam ihr zu Hilfe. »Selbstverständlich, Francesca.«
»Sie haben ...« Francesca musste sich räuspern. »Sie haben ein wundervolles Anwesen, Mrs Radcliffe«, sagte sie. Sie hatte den Eindruck, dass Reginas Blick noch kühler wurde.
»Vielen Dank. Wir fühlen uns hier wohl«, gab Regina zurück. »Wo leben Sie?«
Francesca sah zu Monty und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie konnte nicht glauben, dass Regina ihr binnen weniger Sekunden das Gefühl vermittelt hatte, minderwertig zu sein. Doch sie wusste, dass genau dies Reginas Absicht gewesen war.
»Das habe ich dir doch erzählt, Mutter«, sagte Monty, der seine Mutter wütend anfunkelte.
Francesca registrierte seinen gereizten Tonfall und machte sich Vorwürfe, dass er sich ihretwegen genieren musste.
»Mir ist bekannt, dass Francescas Vater ein Schiff auf dem Fluss besitzt, Monty, aber das schließt doch nicht aus, dass diese Leute in einem Haus leben«, rechtfertigte sich Regina.
»Wir besitzen kein Haus«, erklärte Francesca. »Ich lebe an Bord der Marylou, Mrs Radcliffe.« Sie hielt Reginas Blick stand und zwang sich zu einem Lächeln. »Und ich liebe das Leben an Bord.« Sie sah zu Frederick, der aufrichtiges Interesse an ihren Worten zeigte, ohne die Voreingenommenheit seiner Frau an den Tag zu legen. »Im Übrigen liebe ich auch den Fluss. Darum finde ich den Ausblick von Ihrer Veranda so wundervoll.«
»An den Fluss kann man sein Herz verlieren«, sagte Frederick mit freundlicher Stimme. Während er sprach, blickte er aus einem der hohen Fenster.
»Ja. Besonders, wenn man dort geboren ist wie ich«, erwiderte Francesca. Ihr war bewusst, dass sie weder ihreHerkunft noch ihren Stand verbergen konnte, doch sie wollte eher verdammt sein als sich so zu verhalten, als müsste sie sich deshalb schämen. Entweder die Radcliffes akzeptierten sie, wie sie war, oder Francescas erster Besuch hier wäre zugleich ihr letzter.
»Es freut mich, dass Sie den Fluss lieben«, sagte Frederick, aber Francesca entging nicht, dass Regina missbilligend den Mund verzog.
»Monty hat mir erzählt, dass Sie erst vor kurzem aus dem Internat nach Echuca zurückgekehrt sind«, bemerkte sie, um auf ein unverfänglicheres Thema zu wechseln.
»Ja, ich bin noch nicht lange wieder in Echuca, aber die Schule habe ich bereits vor fast einem Jahr abgeschlossen.«
»Ach. Und was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?«
»Ich habe gearbeitet.«
Eine von Reginas dunklen Brauen hob sich. »Als was?«
»Ich war als Buchhalterin angestellt, aber meine Arbeitgeber hatten dreizehn Kinder, und das vierzehnte war bereits unterwegs, sodass ich kaum Zeit fand, mich um die Bücher zu kümmern.«
Regina hatte den Eindruck, dass Francesca mit ihren Kenntnissen der Buchführung übertrieb, und hegte die leise Hoffnung, dass Monty erkannte, sich in dem Mädchen zu irren. Regina fand sie zwar sehr hübsch, doch sie konnte die Erwartungen als Montys Frau und Mutter seiner Kinder bestimmt nicht erfüllen.
»Mögen Sie keine Kinder?«, fragte Regina.
»O doch, sehr, aber ich war nun mal für die Buchhaltung eingestellt worden. Es hat mir nichts ausgemacht, Mrs Kennedy bei den Kindern zur Hand zu gehen, aber letzten Endes war ich die ganze Zeit im Haushalt eingespannt, sodass die Bücher vernachlässigt wurden.«
Monty schenkte Francesca ein verständnisvolles Lächeln, das sie erwiderte. »Und dass ich meine Stellung bei denKennedys aufgegeben habe,
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